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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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verschwunden.
    Wo sie hatte allein sein wollen.
    Mit ihren Gedanken.
    Der Stille.
    Den Schneeflocken vor dem Fenster.
    Und dann hatte Lady Mina zögerlich an der Tür gekratzt, und Emily hatte sie in die Dachkammer eintreten lassen, und Mädchen und Rättin hatten miteinander geredet.
    Wie Freundinnen, die noch nicht wissen, dass sie Freundinnen sind, es zu tun pflegen, wenn es draußen kalt und stürmisch ist und sich die Welt nur in der Wärme einer gut beheizten Kammer ertragen lässt.
    Irgendwann in der Nacht schloss Lady Mina dann die Augen. Zusammengerollt, wie es nun einmal der Ratten Art ist, lag sie neben Emilys Kopfkissen, und das sanfte Atmen der Rättin beruhigte das Mädchen, dessen Gedanken wilde Gebilde waren, die langsam nur zur Ruhe kommen wollten. Neben der Matratze ruhte in einem hölzernen Kästchen das Mondsteinauge, das auf immer ein Teil des Waisenmädchens aus Rotherhithe bleiben würde.
    Draußen, über London, fiel der Schnee in dicken Flocken. Und als Emily endlich einschlief, da ahnte sie natürlich nicht im Geringsten, dass dies für lange Zeit die letzte Nacht sein würde, die sie in ihrem Zuhause in Marylebone würde verbringen können.

Kapitel 16
Elephant & Castle

    Die Welt ist gierig, und manchmal verschwinden Menschen in ihrem Schlund, ohne jemals wieder gesehen zu werden. Es traf uns unvorbereitet, zumal wir Maurice Micklewhite und Aurora Fitzrovia in Paris glaubten. Ein Telegrammbote überbrachte die Nachricht, dass unsere beiden Gefährten den Orient-Express nicht in Paris verlassen hatten. Der Zug würde gegen Mittag im Bahnhof von Elephant & Castle ankommen. Unsere Anwesenheit sei erwünscht.
    »Warum kommen die beiden bereits jetzt nach Hause zurück?«
    Ich nippte verschlafen an meinem Kräutertee.
    Erst in den frühen Morgenstunden war ich aus dem Stadtteil Islington nach Marylebone zurückgekehrt, und in Anbetracht der seltsamen Nachricht aus Paris, die Hampstead Manor noch vor Tagesanbruch erreicht hatte, war mir der Schlaf, den ich mir insgeheim erhofft hatte, in keiner Weise vergönnt gewesen.
    »Vielleicht haben sie Pilatus Pickwick doch noch in Konstantinopel ausfindig machen können?«
    »Möglich.«
    Doch eher unwahrscheinlich.
    »Darf ich Sie begleiten?« Emily sah mich flehendlichst bittend an.
    »Nach Elephant & Castle?«
    »Ja.«
    »Das würde aber bedeuten, dass Sie heute nicht am Unterricht teilnehmen können.« Einen strengen Blick ließ ich ihr zuteil werden. »Miss Monflathers wird betrübt sein.« In Anbetracht des Gesprächs, das ich mit Peggotty geführt hatte, war es der Situation wohl angemessen, höchst tadelnd auszusehen. »Aber unter Berücksichtigung der Umstände denke ich, dass eine Entschuldigung vertretbar ist.« Ich leerte meine Tasse Kräutertee und überlegte kurz: »Klingt Unwohlsein glaubhaft?«
    Emily lächelte dankbar und nickte.
    So machten wir uns nach dem Frühstück auf den Weg.
    Die Bakerloo Line brachte uns ins südliche London, hinunter nach Elephant & Castle, wo sich bereits eine große Menschenmenge versammelt hatte und gebannt die Ankunft des Orient-Express erwartete.
    »Was haben Sie heute Nacht in Islington gemacht?«, wollte Emily wissen, als wir uns in dem engen, überfüllten Abteil der U-Bahn durchschütteln ließen.
    Auf der Schulter des Mädchens hockte Lady Mina, was die Leute in dem Abteil auf Abstand gehen ließ. Die meisten Menschen mögen nun einmal keine Ratten.
    »Ich habe Master McDiarmid getroffen.«
    »Sie beide treffen sich oft in letzter Zeit.«
    »Ja, das tun wir.«
    »Es gibt keine Zufälle«, zitierte Emily mich.
    »Ich weiß.«
    Nach dem Besuch in Islington war ich am Cecil Court gewesen, um Eliza Holland einen Besuch abzustatten und ihr einige Fragen zu stellen, die, so glaubte zumindest McDiarmid, mir die junge Frau würde beantworten können. Doch weder im »Havisham’s« noch in der Wohnung über dem Laden hatte Licht gebrannt, und auf mein Klingeln hin hatte auch niemand geöffnet.
    Aber es war zu früh, um Emily davon zu berichten.
    Von den Verdächtigungen.
    Zu eng befreundet waren die beiden.
    »Später«, vertröstete ich meine Schutzbefohlene, die meine Antwort schmollend zur Kenntnis nahm.
    Dann erreichten wir den Bahnhof und die aufgebrachte Menschenmenge, die sich auf den Bahnsteigen und in den Gängen versammelt hatte und in der hunderte von plappernden Mündern Gerüchte schufen, die sich rasend schnell verbreiteten.
    »Was ist hier nur los?«
    Niemals zuvor hatte Emily den Bahnhof in

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