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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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genau, was dort oben vor sich ging.
    Wieder hier zu sein brachte all die alten Bilder zurück, und es gab nichts, aber auch gar nichts, was ich dagegen hätte tun können.
    »Du denkst noch immer an sie?«
    Konnte er es wissen, nach all der Zeit? »Was meint Ihr?«
    »Rima Wittgenstein, die dir deinen Namen gegeben hat.«
    »Es vergeht kein Tag, an dem ich …« Auf einmal war ich wieder der Junge, der nichts von der Welt wusste, und McDiarmid war der Meister, dessen Schutz man mich unterstellt hatte.
    »Was du bist, Mortimer, bist du, weil es Rima in deinem Leben gegeben hat.« Er lächelte mir aufmunternd zu. »Du erinnerst dich doch daran, was ich dir damals erzählt habe. Damals, als ich deinen Schmerz gespürt habe.«
    »Ja.«
    Über die Brücke waren wir geschlendert, an einem Herbsttag. Nach mehreren Stunden des Studierens hoch oben in den Kammern des Altstädter Brückenturms, war ich nach draußen gegangen, um frische Luft zu schnappen. Die Müdigkeit der vielen Buchstaben drückte mir die Lider zu, und das Geräusch der gegen das Ufer schlagenden Wellen hatte mich schon immer beruhigt. Es erinnerte mich an die Lektion, die Mylady Hampstead mir erteilt hatte, an die Klippen und die Höhle. Daran, dass man eine Situation meistern kann, auch wenn man vorher versagt hat.
    »Deine Gedanken scheinen an einem fernen Ort zu verweilen.« McDiarmid war plötzlich neben mir aufgetaucht, wie aus dem Nichts, so schien es mir.
    »Ich habe die Lektionen, die zu lernen Ihr mir aufgetragen habt, beendet.«
    »Du musst dich nicht entschuldigen.«
    Ich hatte geschwiegen.
    Wir waren die Brücke entlanggegangen, vorbei an all den Skulpturen der toten Heiligen, die streng auf uns herabblickten.
    »Einst war auch ich ein junger Mann, Mortimer. Schottland war meine Heimat, vor langer Zeit. Ein wohlhabender Mann vom Clan der MacDiarmids gab mir damals eine Anstellung, und ich leistete gute Arbeit auf seinen Ländereien, sodass er mich nach einigen Jahren in seinen Clan aufnahm und mir sogar seinen Namen gab. Am Loch Duich in Glen Shiel war das und lange, lange her. Ich verliebte mich in ein Mädchen, das an den Ufern dieses Sees lebte, doch sie wollte nichts von mir wissen. Ihr Name war Heather, und sie liebte jemand anderen. Er war ein störrischer MacDougal aus Kilchurn, der in unser Dorf kam und Chief MacDiarmid nach dem Mund redete. Der Chief vertraute dem jungen MacDougal, und bald schon durfte dieser im Haus meines Herrn ein und aus gehen. Doch MacDougal führte Liederliches im Schilde. In der Schlacht von Culloden verriet er unser Haus und erhielt von den Engländern als Lohn das Schloss und die Ländereien. Ich musste fliehen, wie viele andere aus dem Clan der MacDiarmids auch.« Er hatte geseufzt. »Wie oft habe ich erwogen, dorthin zurückzukehren und MacDougal zu töten. Doch wozu wäre das gut gewesen? Heather war sein Weib geworden, schon lange vor Culloden.«
    »Das tut mir Leid«, hatte ich geantwortet und mich gefragt, was mir der Magister damit sagen wollte.
    »Ich erkannte, dass es nicht wichtig war, Rache zu üben. Es hätte auch mein Leben gekostet, und was dann? Nein, ich war jung und wollte leben. Und so suchte ich den Schmerz in mir. Das war es, worauf es ankam. Denn wenn man den Schmerz lange genug betrachtet, dann verwandelt er sich in Stärke.« Die Skulpturen hatten lange Schatten geworfen. »Das ist es, was ich damals gelernt habe. Wenn man den Schmerz töten will, dann ist man zum Scheitern verurteilt. Wenn man ihn aber zu nutzen versteht …« Verheißungsvoll hatte er mir zugezwinkert. »Denke darüber nach, mein junger Schüler.«
    Das hatte ich getan.
    Irgendwann jedoch hatte ich nicht mehr daran gedacht.
    Die Geschichte einfach vergessen.
    »Jeder Schmerz«, beantwortete McDiarmid seine Frage von einst, »lässt uns fühlen, dass wir Menschen sind.«
    Ich zog es vor zu schweigen.
    Dichtes Schneetreiben setzte draußen ein. Die Menschen auf dem Moldau-Markt tanzten trotz allem weiter zu der Musik der Kapellen. Die Kinder hörten nicht auf zu lachen, und dies alles, obwohl der Himmel grau und trostlos war wie an dem Tag, an dem wir Maurice Micklewhite zu Grabe getragen hatten.
    »Ich werde jetzt aufbrechen«, sagte ich. »Es ist an der Zeit.«
    »Und ich werde tun, was in meiner Macht steht, um dir zu helfen. Wie ich es immer getan habe.«
    »Ich danke Euch, Meister.«
    McDiarmid lächelte gütig. »Wenn du auf Tristan Marlowe triffst, dann sei auf der Hut.« Das Lächeln erlosch, und das alte

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