Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
allein dort zurückgelassen und war für kurze Zeit nach draußen verschwunden, um im Schutz der Abenddämmerung und der Schneestürme etwas Essbares zu besorgen. Bei seiner Rückkehr hatte es dann gegrillte Wurst mit Brot und Senf gegeben, später Gebäck mit einem aufgewärmten Kaffee dazu. Tristan hatte sich wirklich rührend um sie gekümmert, wenngleich er sich alle Mühe gegeben hatte, unwirsch und kühl daherzukommen.
    Dann, am Morgen des dritten Tages, wollten sie endlich aufbrechen. Emily, an der die Ungeduld nagte, konnte es kaum mehr erwarten, etwas zu tun, wenngleich sie sich nicht wirklich zutraute, der fremden Stadt gewachsen zu sein. Sie fürchtete sich davor, in den Straßen Prags den grauen Männern zu begegnen, von denen Tristan ihr berichtet hatte. Vor dem Laden jenes Herrn Bisselbeck hatten die grauen Männer gelauert, und auch sonst schienen sie durch die Stadt zu streifen, auf der Suche nach den englischen Mördern.
    Doch es galt, einen Tempel zu finden mit einer Lade darin.
    Und die Zeit war mitnichten ihr Verbündeter.
    »Wir werden einen Rabbi namens Schemajah Hillel aufsuchen«, verkündete Tristan Marlowe ihr noch in der Kirche. »Der Rabbi kennt die alten Schriften wie kein Zweiter. Als McDiarmid mich damals ausgebildet hat, da habe ich bei dem Rabbi vorsprechen müssen, um für den Magister einige Schriftrollen zu erbitten.«
    »Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, zuerst zu ihm zu gehen«, sagte Emily.
    »Zum Rabbi?« Marlowe verstand nicht. »Was ist falsch daran?«
    »Wir sollten zuerst McDiarmid aufsuchen. Wittgenstein hat das vielleicht auch getan.«
    »Er ist nicht zu Hause. Ich bin bereits dort gewesen.« Marlowe sah sie nicht einmal an, als er das sagte.
    »Sie sind dort gewesen? Davon haben Sie mir nichts gesagt.«
    »Hätte ich das tun müssen?«
    »Es wäre nett gewesen.« Emily starrte ihn an. Etwas in Tristan Marlowes Stimme war anders als sonst, und zum ersten Mal beschlich Emily der Verdacht, er könne etwas vor ihr verbergen.
    »Was haben Sie?« Er wirkte wie ein Tier, das man in die Enge getrieben hatte.
    »Sie lügen, Tristan.« Sie sprach es aus, weil es das war, was sie glaubte. »Sie haben mich noch nie belogen, doch jetzt tun Sie es.« Sie senkte die Stimme, ein wenig nur. »Sie sind kein guter Lügner, nicht bei mir.«
    Noch immer hielt er den Blick gesenkt.
    Dann, ohne ihr in die Augen zu schauen, sagte er: »Ich habe ihn gesehen.«
    »Wann?«
    »Gestern Abend.« Er seufzte. »Lassen Sie uns gehen. Auf dem Weg zur Josefstadt bleibt genügend Zeit für eine Geschichte.« Er öffnete die Pforte und spähte hinaus. Schneeflocken stoben in den Chorraum, und Emily sagte der Kirche in Gedanken Lebewohl. Dann folgte sie Tristan in den anbrechenden Tag und fragte sich, welche Geschichte er ihr zu erzählen hatte.
    »Ich gebe es zu, ich wollte ihn aufsuchen, um ihn um Rat zu bitten. McDiarmid bewohnt den Brückenturm an der Karlsbrücke. Doch dann sah ich den Inspektor.«
    Emily, die neben ihm herlief, sah ihn fragend an. »Welchen Inspektor?«
    »Seinen Namen kenne ich nicht, aber ich habe ihn mehrmals vor Bisselbecks Laden gesehen, und er hat den grauen Männern, die dort Posten bezogen haben, Order erteilt. Deswegen gehe ich davon aus, dass er etwas zu sagen hat bei der Polizei.«
    »Was hat er denn am Brückenturm gemacht?«
    Tristan Marlowe sah sie an, und als sich die Schneeflocken auf sein Gesicht legten und Emily in die stahlblauen Augen sah, da erkannte sie, dass etwas in ihm zerbrochen war. Etwas, das er sich lange Zeit bewahrt hatte. »Erinnern Sie sich, was ich Ihnen in der Bibliothek von Pandaemonium gesagt habe?«
    »Ich solle niemals jemandem vertrauen«, erinnerte sich Emily.
    Der junge Alchemist nickte traurig.
    Irgendwie sogar verzweifelt.
    »Ich habe McDiarmid vertraut, mein Leben lang. Er hat mich aufgenommen und für mich gesorgt. Er ist immer nur gut zu mir gewesen. Und gestern hat er mit dem Inspektor gesprochen. Ja, genau das habe ich gesehen. Magister McDiarmid hat den Inspektor vor dem Altstädter Brückenturm instruiert. Er war wütend und ungeduldig.«
    »Sie haben ihn nicht angesprochen?«
    Beschämt schüttelte Marlowe den Kopf. »All die Jahre über hatte ich ihm mein Vertrauen geschenkt.«
    Emily spürte, wie wichtig dies alles für Tristan gewesen war. Auf einmal tat der junge Alchemist ihr Leid. »Vielleicht hat der Inspektor ihn nur befragt.«
    »Nein, das hat er bestimmt nicht. Sie kennen Magister McDiarmid nicht. Er gehört nicht

Weitere Kostenlose Bücher