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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Kleinseite, in Gefälligkeiten bezahlen ließen. Während der langen Stunden in der Kirche Maria Schnee war Prag für Emily lebendig geworden, hatte ein Gesicht bekommen, das so dahingekritzelt war wie die Linien auf dem Zettel im Gesicht des freundlichen Papiermundmannes.
    »Wir werden nicht lange hier bleiben müssen«, beruhigte Tristan Marlowe sie.
    »Ist schon okay.« Sie sah sich im Laden um und stöberte durch die Berge von Dingen, die irgendwer einmal fortgegeben hatte. So viele Dinge, die alle eine Geschichte besaßen. So viele Geschichten, an die sich nie mehr jemand erinnern würde. Es stimmte Emily traurig, und wenn sie manche der Gegenstände berührte, dann streifte sie der Hauch einer Melodie, die einmal eine Geschichte gewesen war in irgendjemandes Erinnerung.
    Doch dann waren die Gegenstände fortgegeben worden und die Geschichten mit ihnen.
    Der Papiermundmann, das bemerkte Emily erst jetzt, hockte inmitten all des Gerümpels und kritzelte fortwährend etwas auf einen Zeichenblock. Sie trat näher heran und sah all die Worte in einer ihr fremden Schrift und in einer fremden Sprache. Worte, die sich um Zeichnungen rankten wie Efeu um alte, mächtige Häuser.
    »Er schreibt sie auf.« Tristan Marlowe stand hinter ihr und schaute ihr über die Schulter.
    »Was schreibt er auf?«
    »Die Gerümpelgeschichten.«
    »Alle?«
    »Ja. Er ist ein Gerümpelschreiber.«
    »Warum tut er das?«
    Der Papiermundmann schaute auf, weil er wohl merkte, dass über ihn geredet wurde. Er lächelte ein skizzenhaftes Lächeln, blinzelte Emily zu und vertiefte sich dann erneut in die Geschichte, die zu einem rostigen Kleiderbügel gehörte, der auf dem Boden zwischen den Füßen des Papiermundmannes lag.
    »Er verkauft die Geschichten.«
    Emily hatte es sich beinah gedacht. »An wen?«
    »An irgendwen.«
    »Das ist keine Antwort.«
    Tristan schien amüsiert zu sein. »Doch, ist es.«
    »Ich verstehe das nicht.«
    »Es gibt so viele Menschen, in deren Leben es keine Geschichten gibt. Und wenn es keine Geschichten im Leben eines Menschen gibt, dann wird auch sein Leben niemals einer Geschichte wert sein. Manche Menschen erkennen dies schon sehr früh, andere gar nicht. Aber all diejenigen, die erkennen, dass das Leben so ist, wie es ist, kommen hierher und kaufen sich eine Geschichte, sofern sie nicht selbst schon eine besitzen.«
    »Davon lebt er?«
    »Ja, davon lebt er.«
    »Und die Worte, die er schreibt?«
    »Sie besitzen mehr Leben als manch einer der Kunden, der seinen Fußüber diese Schwelle setzt.«
    »Warum können die grauen Männer uns hier nicht aufspüren?« Emily war sich inzwischen sicher, dass die grauen Männer Trickster waren.
    Der Papiermundmann sagte etwas, was kein Englisch war.
    »Weil Worte mächtig sind«, übersetzte Tristan Marlowe. »Weil Papier den, der Böses will, zu schneiden vermag. Weil Worte die Welt sein können. Weil sie jedem, der nicht zwischen ihnen zu lesen vermag, den Zutritt verwehren.« Tristan deutete zum Eingang, wo ein mit unleserlichen Zeichen beschrifteter Zettel über der Tür hing. »Weil dieser Ort hier aus Worten besteht und diejenigen, denen die Worte nicht gehören, den Ort nicht einmal sehen können.«
    Das, dachte Emily, klingt wahrlich mysteriös.
    Der Papiermundmann nickte ihr freundlich zu und wendete sich dann wieder der Aufgabe zu, die Worte auf das weiße Blatt Papier zu kritzeln und die Zwischenräume mit Bildern zu versehen.
    Emily schlenderte durch den Laden und betrachtete die Dinge, zwischen denen manchmal sogar schon Spinnweben hingen. Und dann erblickte sie den Gegenstand, dessen Geschichte in der Stille leise wisperte.
    Dort, im hinteren Teil des Ladens, lag sie auf einem schmalen Tisch und war wunderschön. So wunderschön, dass es Emily den Atem verschlug. Dunkles Holz, das mit Kratzern übersät war. Saiten, die gerissen waren und sich an den Enden wie Federn aufrollten.
    »Gefällt sie Ihnen?« fragte Tristan.
    »Mein Vater«, sagte sie, »war Musiker.«
    Dann trat sie an den Tisch heran und berührte zaghaft das Instrument.
    Warm fühlte sich die Geige an.
    Als stecke Leben in ihr.
    Das einen Gefährten gefunden hat.
    »Ich kann Geige spielen, obwohl ich es nie gelernt habe.« Sie erzählte ihm die Geschichte, die ihre eigene Geschichte war, und die Worte kamen ihr so zügig und natürlich über die Lippen, als hätten sie seit Tagen schon darauf gewartet, endlich ausgesprochen zu werden. Sie erzählte ihrem Begleiter von Adam Stewart und dem Streit und

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