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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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spürte ihn.
    Bereits am Ende der Rolltreppe hatte sie ihn gespürt.
    Denn etwas stimmte nicht mit dem Mann.
    Etwas fühlte sich einfach nicht richtig an.
    »Was haben Sie?«
    Emily sagte es ihrem Begleiter, der den grauen Mann jetzt ebenfalls erblickt hatte.
    »Er ist ein Trickster, glaube ich.«
    Tristan wirkte beunruhigt. »Sind Sie sich sicher?«
    »Nein!«, entfuhr es Emily eine Spur zu ungeduldig.
    Da war etwas, das ihr unbändige Angst machte. Als würde der graue Mann ihre Haut berühren und sie festhalten können. Ja, das war das Gefühl, das sie schneller atmen ließ. Sie konnte es nicht anders umschreiben, aber das war es, was sie fühlte.
    Sie konzentrierte sich und suchte in der Menschenmasse nach einem fremden Bewusstsein.
    »Wer immer diese Kerle sind«, flüsterte sie Tristan zu, »sie sind dazu in der Lage, mich abzuwehren.«
    »Das klingt nicht sehr beruhigend.«
    »Finde ich auch.«
    »Wie viele sind es?«
    »Keine Ahnung. Einen spüre ich deutlich.«
    »Sie treten niemals allein auf«, murmelte Tristan Marlowe.
    »Na, toll.«
    Der graue Mann sah ihnen neugierig hinterher, doch soweit Emily es sehen konnte, rührte er sich nicht von der Stelle.
    Tristan Marlowe schaute kurz zurück, in die Straße hinein, aus der sie gekommen waren. »Dort drüben befindet sich die Karlsbrücke mit dem großen Turm. McDiarmids Zuhause.« Ihm war nicht wohl dabei, sich in der Nähe seines ehemaligen Meisters aufzuhalten. »Da vorn, sehen Sie den Laden?«
    »Ja.«
    Ein Kramladen war es, alt und schäbig. Die Straße machte dort einen Knick, und der graue Mann würde bestimmt nicht sehen können, dass sie sich in dem Laden versteckten. Immer vorausgesetzt, dass er uns nicht spüren kann, dachte Emily, und ihr war alles andere als wohl bei dem Gedanken.
    Tristan Marlowe jedenfalls schob sie förmlich in den Laden hinein. Die Tür quietschte laut, und eine Glocke bimmelte hell und rostig, sodass sich Emily fast augenblicklich an den alten Raritätenladen erinnert fühlte. Drinnen war es warm und düster, eine Welt der Schatten und des Gerümpels, zwischen dem die vielen Schatten lebten. Es gab Krimskrams, der sich bis unter die Decke stapelte. Kisten, aus denen Kleidungsstücke baumelten, Regale mit Büchern, seltsam geformten Kerzenhaltern, weiteren Kisten, Schmuckdosen. Da eine Wanduhr, ein Klavier, auf dem sich Drähte, Nähzeug und Glühbirnen in Körben stapelten, eine Sitzecke mit zwei Stühlen und einem dreibeinigen Tisch. Der Mann, der vor diesem Tisch saß, begrüßte sie mit einem gezeichneten Lächeln, und das war etwas, was Emily noch nie zuvor gesehen hatte.
    Der Mann mochte alt sein oder auch nicht, das war schwer zu sagen. Seine Haut sah aus wie altes Pergament und war voller Falten, nur da, wo der Mund sein sollte, da spannte sich ein Stück Papier über das Gesicht, als habe jemand versucht, ihn damit zu knebeln. Auf das Papier, über das eine spitze Nase ragte, war ein Mund gezeichnet. So, wie ein Kind ihn wohl gemalt hätte. Mit feinen, fast schon unbeholfen wirkenden Strichen. Und wenn der Mann lächelte, dann war es, als würde eine unsichtbare Hand den Mund in jeder seiner Bewegungen neu zeichnen.
    Tristan Marlowe sagte etwas zu dem Mann, das Emily nicht verstand.
    Der Zeichenmund lächelte erneut und formte dann in Windeseile Worte, die nur so sprudelten. Und wenngleich Emily auch nicht verstand, was er da sagte, so fühlte sie doch, dass es freundliche Worte waren.
    »Die grauen Männer werden uns hier nicht finden«, sagte Tristan Marlowe und nickte dem Mann mit dem Papiermund dankend zu.
    Emily schaute durch das milchige Glasfenster nach draußen, wo der Mann mit dem Mantel und dem Hut eiligen Schrittes an dem Laden vorbeiging und um die nächste Ecke verschwand. Er hatte den Laden nicht eines einzigen Blickes gewürdigt. Nach einigen Sekunden folgte ihm ein weiterer Mann, der aber ebenso wenig den Laden beachtete.
    Der Papiermundmann sagte etwas, und Tristan Marlowe übersetzte: »Es ist das beschriebene Papier, das verbirgt, was manche nicht sehen sollen.« Das war alles. Eine Erklärung, was dies zu bedeuten hatte, folgte nicht.
    Nun denn …
    »So ist Prag eben«, hatte Tristan Marlowe gesagt, als er Emily von seiner Zeit in der Moldaumetropole erzählt hatte, »die Stadt ist immer für eine Überraschung gut.«
    Von Gefiedergesellen und Kanalkriechern hatte er ihr erzählt, von Gammlern und grimmigen Possenreißern, die mit billiger Magie handelten und sich, wie die Goldschürfer der

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