Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen
ihres Weges und ahnte nicht einmal, dass sie in gerade diesem Augenblick eines jungen Mannes Leben verändert hatte.
Martin Mushroom indes schaute ihr hinterher und fragte sich, was er nun tun sollte.
Ganz durcheinander war er, und das Herz schlug ihm bis zum Hals.
Gewiss kannte er Mia Manderley, weil sie die Tochter des elfischen Hauses war. Er hatte ihr Porträt oft in Zeitungen gesehen, doch keines dieser Bilder war dazu in der Lage gewesen, die Schönheit und Anmut wiederzugeben, die er soeben erblickt hatte.
Selbst in der Trauer war sie wunderschön.
Und wenngleich sich Martin bewusst war, dass seine Familie schuldig war am Tode Lord Manderleys, so gelang es ihm dennoch nicht, die junge Frau aus seinem Kopf und Herzen zu verbannen.
Aber er durfte sie nicht lieben.
Wie könnte es denn eine Liebe zwischen ihnen geben, wo doch zwischen ihrer beider Familien ein Mord und eine jahrelange Fehde stand? Uralter Hass und Abneigung? Denn schon seit alter Zeit waren beide Häuser verfeindet, stritten um die Macht im Senat und der uralten Metropole.
Nein, er sollte die junge Frau so schnell wie möglich wieder vergessen.
Denn er wusste, wer der Schlächter von Whitechapel war. Wusste, wer Jack the Ripper war und warum er Mia Manderleys Vater ermordet hatte. Wie könnte er ihr nur entgegentreten, mit diesem Wissen?
Niemals, sagte er sich. Niemals!
Unglücklich und verwirrt kehrte der junge Mann nach Mushroom Manor in Blackheath zurück. Schweigsam zog er sich in seine Gemächer zurück und spielte Klavier, ließ traurige Melodien Gestalt annehmen. Er hatte es immer vermieden, nach Noten zu spielen. Viel lieber suchte er nach Melodien, die tief in ihm selbst verborgen waren. Die eine ehrliche Stimme waren, die er selbst zuvor noch nie vernommen hatte.
Und am heutigen Tage waren die Melodien traurig und glücklich zugleich. In einem Moment war es Mia Manderleys Antlitz, das ihm zwischen den Klängen zulächelte. Doch dann malten seine Finger eine andere Melodie. Eine, in der ein Golem durch Whitechapel streifte, begleitet von einem Wesen, das sein Vater ihm als den Nocnitsa vorgestellt hatte.
Ja, Mordred Mushroom war vor einiger Zeit aus Prag zurückgekehrt, wo er auf Anraten eines seltsamen Gelehrten namens McDiarmid aus Islington jenen alten Mann getroffen hatte. Und zwei Black Friars hatten ein Bildnis nach Blackheath gebracht, auf dem ein junger, gut aussehender Mann zu sehen gewesen war.
Ah, die Black Friars!
Martin mochte sie nicht.
Diese seltsamen vermummten Gestalten, von denen man kaum jemals einen zu Gesicht bekam. Wenn sie überhaupt einmal nach Mushroom Manor kamen, dann sprachen sie meist hinter verschlossenen Türen mit seinem Vater. Schlimme Dinge wurden da besprochen, das hatte Martin schon als Kind gespürt. Dinge, die für sonst niemandes Ohren bestimmt waren, nicht einmal für die seinen.
Wie oft fragte sich der junge Mann, zu dem das Kind herangewachsen war, was sein Vater wohl im Schilde führte. Er beobachtete den alten Herrn mit Argusaugen, und dennoch gelang es ihm nicht zu erfahren, welche Pläne er denn schmiedete.
Am Ende aber erfuhr er es.
Erfuhr, dass Lord Mordred Mushroom es sich zum Ziel gesetzt hatte, mit alter Magie eine Armee von Golemkriegern zum Leben zu erwecken, um ein für alle Mal dem Haus vom Regent’s Park die Macht zu nehmen.
Soweit er sich erinnern konnte, hatte sein Vater die Familie Manderley schon immer gehasst. Warum, das hatte Martin niemals richtig zu ergründen vermocht. Sein Vater hasste Lord Nicodemus Manderley abgrundtief, und noch mehr hasste er dessen Gattin, und zwar mit einer solchen Inbrunst, dass sich Martin schon als Kind gefragt hatte, warum denn in aller Welt diese Frau so wichtig für seinen Vater war.
Martins Mutter war so früh gestorben, dass er sich kaum noch an sie erinnern konnte.
Er hatte sie als eine sehr ruhige und traurige Frau in Erinnerung, die es geliebt hatte zu musizieren. Das Klavier, das nun in den Gemächern Martins stand, war einst das Klavier seiner Mutter gewesen. Wie sie darauf gespielt hatte, daran konnte sich der junge Mann noch erinnern. Und oft fragte er sich, ob seine Mutter ihm nicht genau diese Traurigkeit hinterlassen hatte.
Er lauschte den schleppenden und melancholischen Melodien, und die alten Bilder begannen zu ihm zu sprechen. Flüsterten ihm zu, dass er nicht allein war. Dass er mehr war als der Erbe eines großen Hauses. Und am Ende war da wieder Mia Manderley mit ihrem betörenden Lächeln, das ihn die
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