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Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen

Titel: Die uralte Metropole Bd. 3 - Lumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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meiner Trickstergabe zu packen bekam, sodass er das Gleichgewicht verlor und auf die Luke zustürzte. Mit beiden Händen versuchte der Black Friar den Sturz aufzuhalten, doch die Hand, die sich bereits im Inneren des Rohrs befand, wurde von der Kabine erfasst, die augenblicklich von der Druckluft nach vorn katapultiert wurde. Die Kapuze fiel zur Seite, und wir sahen beide, wie jung der Black Friar noch war. Der verdutzte Blick galt uns beiden, als er die Kabine mitsamt seiner Hand in der Röhre verschwinden sah. Der Schrei ließ die Schmerzen, die er in seinem Armstumpf spürte, nur erahnen.
    Emily nutzte die Gelegenheit und führte einen weiteren Schlag aus, sodass der Schwindel ihn vorübergehend orientierungslos machte.
    Dann stieß ich ihn erneut in die Luke hinein und aktivierte gleichzeitig die Pneumatik. Die neue Kabine war noch nicht an ihren Platz geschoben worden, und so wurde der Black Friar mit einem lauten Rauschen in die Röhre hineingesaugt und auf die blutige Reise nach Blackheath geschickt. Er war vermutlich tot, bevor er überhaupt verstanden hatte, was mit ihm geschah.
    »Ist es vorbei?« Erschöpft kniete Emily auf dem Boden vor der Luke.
    Ich selbst hielt mich am Armaturenbrett fest und keuchte. »Sie sind beide tot.«
    »Wir haben sie getötet.« Es war eine einfache Feststellung, aber aus dem Mund des Mädchens klang es wie eine Anschuldigung. »Wir haben sie einfach so getötet, Wittgenstein.«
    Ich starrte sie an.
    Ging zur ihr hin und reichte ihr ein Taschentuch, damit sie sich das Blut aus dem Gesicht wischen konnte.
    »Die Alternative wäre unser Tod gewesen.«
    »Aber warum?« Sie wirkte verzweifelt. »Warum?« Tränen standen ihr in den Augen.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Sie sind ein Erwachsener, Wittgenstein. Sie … müssen wissen, wie die Welt funktioniert.«
    »Sie sind kein Kind mehr.«
    »Das ist doch keine Antwort.«
    »Es gibt keinen Trost, Miss Laing.« Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter.
    Sie hustete. »Es war nicht richtig«, flüsterte sie und gab sich Mühe, nicht zu weinen.
    »Das ist es nie«, antwortete ich.
    Da kamen die Tränen.
    Heiß.
    Bitter.
    Sie hatte getötet, und niemals zuvor hatte sie ihre Gabe so überlegt eingesetzt. Ja, sie war sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst gewesen. Das würde sie nicht leugnen können. Vor niemandem und vor sich selbst schon gar nicht. Sie hatte getötet, mit voller Absicht.
    »Wir haben getötet. Ich habe getötet.«
    Wie schwere Steine fiel jedes der Worte in unser Leben.
    Dann hörten wir die Geräusche.
    Langsam wurden sie lauter.
    Näherten sich.
    »Ratten«, stellte ich fest.
    Als die letzte Kabine in die Röhre geschickt worden war, hatte sich eine neue von der Wand gelöst und war in die Abschussposition gerückt worden. Wir mussten nur einsteigen.
    »Wir sollten von hier verschwinden«, schlug ich vor.
    »Ja, Sie haben ja Recht.«
    Sie stand auf.
    »Sie zuerst«, forderte ich sie auf.
    Emily widersprach nicht einmal.
    Ging zur Kabine.
    Kletterte hinein.
    Versuchte die blutigen Stellen nicht zu berühren.
    »Passen Sie auf sich auf«, bat sie mich.
    Die Rattengeräusche aus dem Tunnel hinter mir wurden immer lauter.
    »Ich werde in nur wenigen Minuten bei Ihnen sein«, versprach ich.
    Dann drückte ich den Auslöser und schickte meine Schutzbefohlene auf die Reise nach Blackheath. Hinter mir hörte ich, wie die Ratten den Tunnel entlangkamen.
    Es blieb mir nicht mehr viel Zeit.
    Also nutzte ich sie.
    Tristan Marlowe hatte die Docklands Light Railway bis nach Island Gardens genommen und sich unterwegs ein Bild von den Verwüstungen machen können. Die Nebel hatten weite Teile von Whitechapel verwüstet, und die Dürre zog wie ein Feuersturm über der Grafschaft Wimbledon auf. Die Lady Pasteurella Pestis reiste jetzt mit dem Nebel durch die Gassen und Straßen und Tunnel der uralten Metropole und suchte London trotz der Kälte heim. In der U-Bahn sprachen die Menschen hinter vorgehaltenen Händen von überfüllten Krankenhäusern und verzweifelten Angehörigen. Die Stadt der Schornsteine ging zugrunde, und die Schuld daran trug allein Gabriel. Magister McDiarmid, dem der junge Alchemist all die Jahre über vertraut hatte.
    »Sind Sie sicher, dass Sie das Richtige tun?«, fragte Ipy die Sphinx, die ihn nach Blackheath begleitete.
    »Nein.«
    Tristan war sich überhaupt nicht sicher.
    Denn alles war im Wandel.
    Er hatte geglaubt, sich seiner Gefühle sicher zu sein, doch selbst die hatten ihn belogen und betrogen.

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