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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Fugen. Hier und da war ein Spinnennetz gespannt. Es hingen keine Bilder in der Wohnung, nur ein einziges. Es zeigte ein Ehepaar, unverkennbar Jakes Eltern. Es war ein Hochzeitsfoto. Jakes Vater trug einen guten Anzug, und Jakes Mutter war unverkennbar eine Elfe. Es war eine andere Zeit, ein anderer Ort. New York 1898, das Jahr, in dem sie selbst geboren worden war.

    Ein Motorrad stand mitten im Raum, umringt von Werkzeugkisten, die alle halb offen standen. Es war eine alte Indian Summer , Baujahr 1958. Werkzeug lag unsortiert auf dem hässlichen Teppich verstreut, dazwischen waren Öldosen und Ersatzteilkartons zu erkennen. Kleine Eimer mit klarem Lack standen auch dort herum. Selbst in der Küche lagen Motorteile in der Spüle, gleich neben den schwarzen, nach Kaffee riechenden Tassen. Weiter hinten im Raum stand ein Drahtgestellbett, daneben Staffeleien mit Ölgemälden darauf. Szenen aus der Stadt zeigten sie, in den Farben des Herbstes. New York, wie es jemand sah, der sich hier sehr wohlfühlte. Auf der Couch stapelten sich die Kleidungsstücke, fast ausnahmslos Jeans, dazwischen T-Shirts und dicke Pullover wie jener, den er die ganze Zeit über getragen hatte.
    Bücher standen kaum welche in den Regalen, dafür jede Menge CDs. Neil Hannon, Yamit Mamo, Melanie Pappenheim, AaRON, Rufus Wainwright III. und Adam Stewart.
    Scarlet ging in der Wohnung umher wie eine Füchsin in der Falle. Sie war so durcheinander. Sie sah aus dem Fenster und erblickte die Winterwelt und war froh darüber, hier drinnen zu sein. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Blieb vor dem Motorrad stehen. Sie berührte den Ledersitz, ganz zögerlich. Sie konnte es kaum glauben, jetzt hier zu sein.
    »Sie sollten schlafen«, schlug ich vor.
    Scarlet sah mich aus rot geränderten Augen an. »Ich kann das nicht. Schlafen, meine ich. Nicht jetzt. Nicht hier.«
    »Doch, Sie können das. Denn es ist das, was Jake gewollt hätte.«
    Kleinlaut fragte sie: »Meinen Sie?«
    Ich nahm sie bei der Hand und führte sie zum Bett. »Legen
Sie sich hin und schlafen Sie. Morgen, Miss Scarlet, ist auch noch ein Tag.«
    Sie ließ sich ins Bett sinken. Ich deckte sie zu.
    »Denken Sie an gar nichts. Schlafen Sie einfach.«
     
    Sie wachte auf, da war es noch mitten in der Nacht. Sie hatte von Keanu geträumt, und das Bett roch sanft nach Jake. Während der Traum sachte verwehte, grub sie den Kopf ins Kissen und atmete tief ein. Sie hatte die Augen geschlossen, und mit dem Duft kamen die Bilder, an die sie gar nicht denken wollte. Sie setzte sich im Bett auf.
    Mattes Licht fiel durch die Fenster und tauchte den Raum in Schatten.
    »Mistress Atwood?«, fragte sie in die Dunkelheit hinein.
    »Ich bin hier«, gab ich mich in einem Sessel zu erkennen, der vor einem der Fenster stand, das den Ausblick auf die Gerippe der Bäume, die im Sommer so grün waren, erlaubte.
    »Sie sind noch wach?«
    »Ich genieße die Ruhe.«
    »Wie spät ist es?«
    Ich sagte es ihr.
    »Warum können Sie nicht schlafen?«
    »Die gleiche Frage«, sagte ich, »könnte ich auch Ihnen stellen.«
    Sie stand auf und kam herüber, nahm im Sessel neben mir Platz. Sie winkelte die Beine an, legte die Arme darum, stützte den Kopf auf die Knie. »Ich habe von ihm geträumt.«
    »Von Keanu Chinook?«
    »Ja. Aber ich vermisse Jake.«
    Ich schwieg.
    »Ich vermisse ihn so sehr.«

    Ich seufzte. »Mir geht es ebenso.« Draußen auf der Straße lief ein Hund durch den Schnee. »Er war so ungestüm, als ich ihn fand«, sagte ich. »So lang ist das jetzt schon her.«
    Scarlet sah mich von der Seite an. Die Schatten verwandelten ihr Gesicht in etwas Unwirkliches. »Wer sind Sie?«, fragte sie, ohne den Blick von mir zu wenden. »Ich meine, warum tun Sie das alles für mich? Warum helfen Sie mir?«
    »Weil es eine Zeit gab«, antwortete ich ihr, »in der mir niemand geholfen hat, als ich auf die Hilfe anderer angewiesen gewesen wäre.« Die Stille, die eben noch da gewesen war, wich meinen Worten. »Nun ja, das ist nicht ganz richtig. Später habe ich Hilfe erfahren, aber damals, als die Feuer brannten, da sahen alle weg. All die ehrbaren Bürger, sie schauten einfach nicht hin. Viele Menschen sind es oft nicht wert, dass man auch nur einen Gedanken an sie verschwendet. Und andere lassen einen wieder daran glauben, dass es schöne Dinge gibt.«
    »Was ist passiert?«
    Ich seufzte. »Die Lügen«, begann ich zu erzählen, »haben sich nicht wirklich verändert. Sie sind noch genauso lebendig wie damals,

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