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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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weitergehen, bis irgendjemand mutig genug wäre, das alles zu beenden.
    Wie weise Tituba doch war.
    Sie saß in ihrer Zelle, auf all dem schmutzigen Stroh, und brachte den Wodu-Göttern, die sie verehrte, den Großteil ihrer kargen Mahlzeiten als Opfergabe dar.
    »Dann ging es weiter.«
    Tituba hatte sich bereits ihrem Schicksal ergeben. Dass sie sterben würde, das wusste sie vom Moment ihrer Verhaftung an. Die anderen beiden Frauen indes hofften auf mildere Urteile, wenn sie die Schuld weit von sich wiesen. Es seien seltsame Dinge passiert, behaupteten sie unter den strengen Blicken des Magistrats. Sie hätten selbst unter dem Bann von Hexen gestanden. Und so wurden neue Namen genannt: Martha Corey, Dorothy Good, Rebekka Nurse und viele mehr.
    Im April des Jahres 1692 beschuldigte man Elizabeth Proctor, die Tiere der Nachbarsfarm verhext zu haben. Die Milchkühe würden keine Milch mehr geben, die Schweine kaum
mehr schlafen. Elizabeths Mann und ihre Angehörigen, die sie vor Gericht verteidigen wollten, wurden ebenfalls der Hexerei angeklagt und verurteilt.
    »Immer mehr Personen gerieten in den Kreis der Verdächtigen.«
    Menschen starben in kleinen Zellen, andere wiederum nahmen sich freiwillig noch vor ihrer Gefangennahme das Leben, was als Schuldeingeständnis gewertet wurde.
    Die Gerichte tagten täglich.
    Immer neue Namen wurden genannt.
    Jeder versuchte seinen Kopf zu retten, indem er die Schuld auf andere abwälzte.
    So ging es weiter und weiter.
    Es hörte nicht mehr auf.
    »Schließlich«, krächzte meine Stimme, »begannen die gro ßen Scheiterhaufen zu brennen.«
    Tituba war die Erste, die man auf die Holzscheite stellte.
    »Ich stand in der Menge und hatte nur Angst. Die Frau, mit der ich so viele Stunden verbracht hatte, die wie eine Mutter für mich gewesen war, sie zündeten sie an. Einfach so. Sie entfachten ein Feuer, und Tituba stand nur da und ließ es geschehen.« Ich schüttelte den Kopf, noch immer fassungslos, dass sie es getan hatten.
    »Sie hätte sich befreien können, oder nicht?« Scarlet wusste nicht recht, was sie sagen sollte.
    »Ich glaube, Miss Scarlet, dass sie das nicht wollte.«
    Sie hatte der Menschheit ins Gesicht geblickt, und das, was sie dort gesehen hatte, wollte sie nie mehr sehen müssen.
    Tituba brannte.
    Ich hörte sie schreien, ich hörte ihr Fleisch schmoren.
    Ich weinte.

    Bloß ihren Rat, den befolgte ich nicht. Warum nicht? Weil ich dumm war? Weil ich ein Kind war?
    William Griggs hatte mich nach dem Vorfall mehrmals befragt, ob ich etwas mit den Mädchen zu schaffen gehabt hätte, und ich hatte verneint. Er hatte mich auf die schwere Bibel in seinem Arbeitszimmer schwören lassen, auch das hatte ich getan.
    Ich glaubte nicht daran, dass das Leben einfach so weitergehen würde. Doch genau das tat es.
    Die Tage vergingen. Titubas Asche war im Wind verweht.
    Ihre Knochen hatte man den Hunden hingeworfen.
    »Schließlich beschuldigte jemand mich, eine Hexe zu sein.«
    Es hieß, ich habe viel Zeit mit Tituba verbracht und mich von ihren dunklen Künsten faszinieren lassen. Ja, gewiss, man zerrte mich vor Gericht. Jemand, den ich gut kannte, stellte fest, dass ich bei Titubas Verbrennung geweint hatte. Es meldeten sich mehr als zehn Zeugen, die meine Tränen deutlich gesehen hatten. Betty und die anderen wurden auf einmal von wilden Krämpfen befallen, als man mich in den Saal führte. Sie kreischten und krochen unter die Sitze.
    Das alles meinetwegen.
    Der Magistrat jedenfalls ordnete an, man solle mich an Händen und Füßen binden und mir einen Sack über den Kopf ziehen, damit ich niemanden mit dem bösen Blick belegen könne.
    »Ich beteuerte meine Unschuld, aber das hatten schließlich alle getan.«
    Es endete, wie es nur enden konnte.
    In der Menge.
    Unter lauten Rufen.

    »Man führte mich nach draußen. Man band mir die Hände auf den Rücken und ließ mich an einer Aufhängung in den Fluss hinabtauchen.«
    Bevor sie das taten, sah ich die Blicke der anderen Mädchen und Frauen, der Jungen und Männer. Sie alle waren schuldig, aber niemand brachte den Mut auf, dieses Schauspiel zu beenden. Ich dachte an Tituba und bereute inständig, diesen Ort nicht schon vorher verlassen zu haben.
    »So tauchte man mich ins Wasser.«
    Ich tauchte unter, und die Luft wich mir aus den Lungen, mehr und mehr. Ich spürte die Stricke, die meine Handgelenke fesselten. Ich spürte den dicken Knoten, und dann löste ich ihn mit meinen Gedanken auf, ganz einfach. Sie zogen mich aus

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