Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia
Erde. Es war nicht kaputtgegangen.
An diesem Tag erfuhr ich, was eine Trickster ist.
Tituba erklärte mir alles, was sie wusste. Sie erzählte mir die Geschichten von den alten Göttern, den jungen Göttern und selbst den vergessenen Göttern, die in den Wüsten der Alten Welt leben und darauf warten, dass jemand ihre Herzen aufs Neue glühen lässt.
»Sie bat mich inständig, es niemanden merken zu lassen, was ich da tun konnte. Sie sagte, dass es niemand verstehen würde.«
Die Puritaner, so Tituba, glaubten zwar an den einen Gott und den Teufel und die Sünde, aber dazwischen gebe es nichts für sie. Dinge waren entweder göttlich oder des Teufels.
Und Göttlichkeit würden sie mir mit Sicherheit nicht zusprechen, wenn sie schwebende Gegenstände erblickten.
Also hielt ich den Mund.
Ich traf mich regelmäßig mit Tituba, die mir beibrachte, mit meiner Fähigkeit umzugehen. Sie half mir dabei, mich zu konzentrieren. Sie lehrte mich die Dinge, die die Welt zusammenhielten.
»Doch dann geschah das Unglück.«
Wie so oft, kam es aus einer Richtung, mit der man nicht gerechnet hatte.
»Betty Parris und Abigail Williams«, erklärte ich, »waren die Mädchen in der Gemeinde, zu denen die anderen aufschauten. Sie waren selbstsicher und reizend, und ihre Eltern waren Leute von Rang in der puritanischen Kolonie. Eines Nachts trafen sie sich mit anderen Mädchen: mit Ann Putnam und Elizabeth Hubbard. Sie trafen sich heimlich im Wald, auf einer Lichtung. Man behauptete, sie hätten nackt im Licht des vollen Mondes getanzt. Man behauptete auch, sie hätten Liebeszauber heraufbeschworen. Was für ein Blödsinn! Am Ende waren sie alle noch Kinder, die nur ihren einfältigen romantischen Träumen nachhingen. Sie waren gewöhnliche Mädchen, die sich Gedanken darüber machten, wie sie die Jungs beeindrucken konnten. Deshalb trafen sie sich bei Mondlicht. Tituba hatte einer von ihnen die Geschichte einer Prinzessin erzählt, die das Herz ihres Prinzen erobert hatte, indem sie für ihn bei Mondlicht einen Trunk zubereitet hatte. Alles in allem war es nichts weiter als eine Spielerei.«
Doch jemand bemerkte es.
Reverend Deodat Lawson.«
Man stellte Betty und Abigail zur Rede.
Nicht irgendjemand tat dies, sondern John Hale, der Geistliche im nahen Beverly.
Die nächtlichen Treffen sorgten für großen Aufruhr in der gläubigen Gemeinde.
Nun war aber Betty die Tochter Reverend Samuel Parris’, der die Reinheit seiner Tochter vor Gott bezeugte. Aus Angst davor, bestraft zu werden, taten die Mädchen das, was Kinder zu tun pflegen, um einer Bestrafung zu entgehen: Sie beschuldigten drei Frauen, sie irgendwie verhext zu haben. Sie hätten unter deren Bann gestanden. Die beiden Freundinnen könnten dies bezeugen.
»Und so wurden Namen genannt«, sagte ich. »Seltsamerweise beschuldigten sie aber nur Frauen, die anders waren als sie selbst.«
Sarah Good war sehr arm und zudem sehr hübsch, Sarah Osbourne hatte ihren einstigen Diener geheiratet und ließ sich darüber hinaus nur selten im Gottesdienst blicken, und Tituba war eine Farbige, die nicht einmal der gleichen Religion angehörte wie die Puritaner.
Alle drei waren verdächtig. Sie waren anders, das reichte erst einmal aus, um sie vor Gericht zu stellen.
»Als die Verhandlung begann«, erinnerte ich mich, »da mehrten sich die Vorwürfe.«
Auf einmal wollte wirklich jeder etwas Seltsames und Mys teriöses gesehen haben. Jemand hatte angeblich beobachtet, wie eine der Frauen die Äpfel vom Baum erntete, ohne sich dabei zu bewegen. Sie seien ihr förmlich in den Korb geflogen. Ein anderer wollte gesehen haben, wie Tituba mit den Fingern Feuer entzündete. Man sprach davon, dass die Frauen gesunde Kühe krank und deren Milch sauer gemacht hatten, und dies allein dadurch, dass sie ihnen böse Blicke und
Flüche zugeworfen hätten, aus Neid und Missgunst den reichen Bauern gegenüber.
»Am ersten März des Jahres 1692«, ging es schnell weiter, »beschuldigte man die drei Frauen offiziell der Hexerei und sperrte sie ein. Ich ging damals zu Tituba, hielt ihre Hand. Wir schauten uns durch die Gitterstäbe hindurch an, und sie bat mich um einen Gefallen. Sie nahm mir das Versprechen ab, dass ich sofort aus Salem verschwinden würde, wenn noch weitere Frauen der Hexerei beschuldigt würden.«
Die Menschen seien dumm und böse, und wenn sie erst einmal damit begonnen hätten, die Unschuldigen für ihre eigenen Sünden büßen zu lassen, dann würde dies so lange
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