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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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verbunden.
    »Hier bin ich aufgewachsen«, sagte Christo Shakespeare, und jeder Ton seiner Stimme verriet, dass er stolz auf seine Herkunft war.
    Scarlet sah sich um.
    Es war faszinierend.
    Von hier aus schwammen die Alligatoren in die Kanalisation, wo sie auf die Jagd gingen. Zu erbeuten gab es da drau ßen immer etwas. Es gab unvorsichtige Tunnelstreicher, arglose Kanalarbeiter, Jugendliche, die nach unten kamen, um eine außergewöhnliche Party zu feiern. Menschen, die verschwanden, endeten oft hier unten. Und einige von ihnen endeten im Magen eines Alligators.
    Ticktock, der ein freundlicher Alligator war, ging voran und führte uns zu einem kleinen Boot. Es war an einem Pflock festgemacht und schien intakt zu sein.
    Wir bestiegen das Boot.
    Christo Shakespeare bewegte sich, als sei er nie fort gewesen. Er setzte sich nach hinten, zog an der Anlasserschnur, und der Außenbordmotor knatterte laut auf, und es stank nach Benzin.
    »Hier hat meine Familie gelebt«, sagte Christo Shakespeare. »Meine Cajuns-Familie.«
    Während wir durch die Bayous fuhren, erzählte er uns von
der Zeit hier unten in den Neverglades. Von einem Leben fernab der Welt, in der es Rassenunruhen gab. Hier herrschten eigene Gesetze, hier gab es Ehre und Stolz, hier gab es alles, was ein Leben ausmachte. Shakespeare gelangte heimlich in die Bibliotheken der Stadt, er stahl sich des Nachts in die Columbia University, da es Schwarzen noch viel zu lange versagt war, an den Universitäten zu studieren.
    »Dort lernten wir uns kennen«, ergänzte ich seine Erzählung an der richtigen Stelle. »Ich war über einem Buch eingeschlafen, sie hatten den Lesesaal einfach verriegelt, ohne mich zu bemerken. In der Nacht stöberte Shakespeare mit einer Kerze heimlich in den Beständen.«
    »Nun ja«, gab er zu, »seitdem ist sie meine Schwester.« Er grinste.
    Das Boot schaukelte.
    Er umschiffte einen Baumstamm, der krumm wie der abgerissene Arm eines Ertrinkenden aus dem Wasser ragte.
    Dann erreichten wir Hell Gate.
    Die Grotte war jetzt, bei Ebbe, zugänglich. Wie ein gähnender Rachen lag sie da, weit aufgerissen für all jene, die den Mut hatten oder dumm genug waren, an dieser Stelle anzuhalten.
    Ticktock schwamm langsam darauf zu, und seine Augen, die das Einzige von ihm waren, was aus dem Wasser herausschaute, blinzelten respektvoll.
    »Man sagt, dass die Höhle kein Ende hat«, sagte Christo. »Die Kinder hatten alle Angst davor. Jeder hatte das. Niemand geht hierher, nicht einmal die Cajuns.«
    »Das ist also Hell Gate«, murmelte Scarlet. Sie wusste nicht, ob dies wirklich der Eingang zur Hölle war. Aber die Grotte sah zumindest so aus, als könnte sie es sein.

    Ich sagte: »Namen haben immer eine Bedeutung.«
    Und Buster fiepte: Mir ist nicht wohl zumute . Seine Nackenhaare stellten sich auf. Das taten sie nur selten.
    Scarlet dachte an den Toten in dem Keller. John Doe . Seinen Namen hatte niemand mehr gewusst, als er gestorben war, sonst hätte sein Name auf dem Zettel an seinem Zeh gestanden.
    Sie fröstelte, obwohl es schwülwarm war.
    Christo steuerte das Boot nah an den Felsen heran. Scarlet sprang ans Ufer und band die Leine an einer Mangrovenwurzel fest.
    Sumpfpflanzen wucherten am Eingang zur Grotte. Sie beiseitezuräumen stellte kein Problem dar. Scarlet blieb stehen und spähte in das dunkle Loch.
    Pechschwarz war es in der Grotte.
    Christo Shakespeare hielt eine Fackel hinein, doch es sah fast so aus, als fräße die Schwärze das Licht auf. Außer neuen Schatten wurde dort drinnen nichts Neues geboren.
    Ein kalter Hauch wehte aus der Grotte.
    Scarlet bemerkte, dass sich keine Tiere in der Nähe aufhielten. Es gab keine Spinnen oder Ameisen, weder Moskitos noch Schlangen. Selbst die Pflanzen, die hier wuchsen, reckten ihre Blätter von der Grotte fort, dem Licht entgegen.
    »Gehen wir hinein?«, fragte Scarlet. Warum warten?
    »Sie ist waghalsig«, stellte Shakespeare fest.
    Habt acht! , zischte Ticktock. In gebührendem Abstand trieb der Alligator im Wasser.
    Vorsichtig trat Scarlet in die Grotte hinein. Sie zog den Kopf ein.
    Es roch nach Moder und Nässe.
    Shakespeare hielt die Fackel aus dem Boot vor sich. In der
Grotte war eine Treppe, die in die Tiefe führte. Ihre Stufen glänzten vor Nässe, und in den Pfützen, die dort schimmerten, tummelten sich winzige Lebewesen, die wie nichts aussahen, was Scarlet je erblickt hatte. Sie waren durchsichtig, insektenhaft, und sie mieden das Licht.
    Das ist also der Weg, den wir gehen

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