Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
manchen Stellen schauten dunkle Pferdehaare aus den Decken heraus. Rohre ragten wie Speere aus den Wänden, und dann wurde es wärmer. Der Tunnel fiel weiter ab.
    Die Treppen verschwanden, und die Gegend ähnelte immer mehr den alten Tunneln, die hinunter nach Strawberry Fields führten. Immer weiter in die Tiefe führte das Labyrinth aus Gängen, Kreuzungen und Gabelungen.
    Schließlich sahen wir lianenartige Gewächse aus den Wänden wuchern. Die Luft war jetzt schwülwarm, tropisch. Es gab dicke Wurzeln von Sumpfzypressen, die aus dem Betonboden herauswuchsen. Schiefe Fackeln steckten in rostigen Haltern, die aus den Wänden ragten, und leuchteten uns den Weg. Ein Wind, der nach abgestandenem Sommer und nach Zoo roch, schlug uns in die Gesichter.
    Als Scarlet um die nächste Ecke ging, stand der Alligator direkt vor ihr.
    Er war riesengroß, schuppig, mit einer knotigen Haut, die schon Jahrhunderte erblickt haben mochte.
    Er starrte sie aus kleinen Äuglein an und schnaufte. Dann öffnete er leicht das Maul und entblößte große Zähne.

    »Oh«, machte Scarlet.
    Und der Alligator sagte: Ich grüße Sie!
    Christo Shakespeare trat schnell an ihr vorbei.
    Er lächelte breit.
    Der Alligator kam ein Stück auf ihn zu und senkte leicht den Kopf, so dass Christo Shakespeare ihn an der langen, gedrungenen Schnauze streicheln konnte. »Du hast dich nicht verändert«, sagte er zu dem Alligator. »Noch immer der alte Haudegen.«
    Der Alligator schnaufte. Was führt dich her? Er drehte den Kopf und starrte Scarlet an. Ist sie für mich bestimmt? Dann begutachtete er mich: Oder die ältere Dame?
    Beleidigt funkelte ich ihn an. Ältere Dame?
    Pah!
    »Nein, sie gehören zu mir«, sagte Christo Shakespeare nur.
    Dann heiße ich auch Sie willkommen , sagte der Alligator.
    Scarlet wusste nicht genau, was sie tun sollte.
    »Das ist Ticktock«, sagte Shakespeare. »Wir kennen uns schon lange.«
    Und noch bevor Scarlet nachfragen konnte, wie ein Alligator zu einem solch klingenden Namen kam, tickte etwas in ihm. Da, sehen Sie? Er lächelte, wie ein Alligator eben zu lächeln vermag. Ich habe sie verschluckt, mitsamt einer Hand. Das war alles.
    »Wir sind auf dem Weg nach Hell Gate«, sagte Christo.
    Seid ihr euch sicher, dass ihr diesen Weg gehen wollt?
    »Ja, es gibt keinen anderen Weg.« Christo Shakespeare erkundigte sich nach den verschwundenen Kindern. Die Irrlichter hatten erzählt, dass manchmal Kinder durch die Sümpfe gekommen seien. »Wann war das?«

    Es kommt immer wieder mal vor.
    »Wurden sie nach Hell Gate gebracht?«
    Das weiß ich nicht . Er zögerte. Kann schon sein.
    »Wir müssen zum Hell Gate.«
    Ich kann euch hinbringen. Aber es durchschreiten, das müsst ihr allein. Und es ist keine gute Idee, dorthin zu gehen.
    »Dachte ich mir.«
    Der Alligator namens Ticktock wendete in dem engen Gang, was bei seiner Größe gar nicht so einfach war, und ging dann voran. Sein mächtiger zackiger Schwanz schwebte über dem Boden, und Scarlet dachte sich nur, dass er eine gute Waffe abgeben würde, und sie war froh, dass der Alligator nicht ihr Feind war.
    Nach einer Weile wurde der Tunnel noch abschüssiger, und dann öffnete er sich und mündete in ein Sumpfgebiet, das in einer Höhle lag, deren Ausmaße so riesig waren, dass man die Decke nur erahnen konnte. Irgendwo über uns floss der East River entlang. Wie ein feiner Regen, so tropfte es ständig von der unsichtbaren Decke über uns nach unten.
    Es war warm.
    Scarlet knöpfte ihren Flickenmantel auf.
    Die brackigen trüben Wasser, in denen wie Holzstämme weitere Alligatoren schwammen, waren ein feuchtwarmes Heim für wuselnde Hummer, große Welse, Fächerfische und außerordentlich große gescheckte Schnappschildkröten. Überall ragten wilde und seltsam geformte Pflanzen aus den Fluten heraus. Sumpfkiefern, Magnolienbäume, Rote Mangroven und Sumpfzypressen, auf deren Wurzeln dichtes Spanisches Moor wuchs und sich bewegte, sobald sich ein Insekt auf ihm niederließ.
    Die Häuser der Cajuns hingen oben im Geäst der Bäume.
Gesichter, die alt und schmutzig aussahen, starrten aus den kleinen Fensteröffnungen nach unten. Die Menschen trugen Strohhüte, zerfranst und alt. Sie rauchten Pfeifen und kauten Tabak und nagten an Gräsern, die ihnen aus den Mundwinkeln ragten. Die Häuser waren aus Binsen und Ästen und Brettern gezimmert, die einmal Treibgut in den Kanälen gewesen waren. Hunde bellten hoch oben in den Baumkronen. Die Häuser waren durch Stege miteinander

Weitere Kostenlose Bücher