Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia
Hühnerhäusern machen einen weiten Bogen um diesen Ort, wenn sie einmal im Jahr in die Neverglades kommen.«
Das hört sich doch sehr nach Hölle an , meinte Buster Mandrake.
»Diese Wesen, wer immer sie sind und wo auch immer sie herkommen, schleichen durch die Nacht, manchmal. Sie greifen sich dann unvorsichtige Cajuns, Tiere, wen auch immer. Sie hinterlassen keine Spuren, gar nichts. Sie hausen tief in der Grotte, und keiner, nicht einmal ein Sumpfstreicher, wagt, dort hineinzugehen.« Ihm war ganz offensichtlich nicht wohl bei dem Gedanken, uns dorthin gehen zu lassen. »Die Cajuns sagen, es sei das Tor zur Hölle. Die Priesterinnen sagen, es sei der Ort, an dem Wodu keine Macht mehr besitze. Niemand geht dorthin.«
»Wir schon«, sagte Scarlet entschlossen.
Ich nickte nur.
Ich bin dabei , sagte Buster.
Christo Shakespeare sah Scarlet fest in die Augen. »Sie wissen nicht, was Sie da tun.«
»Stimmt.«
»Und doch wollen Sie es wagen?«
»Würden Sie es nicht tun, an meiner Stelle?«
Er überlegte, dann nickte er. »Kann sein.« Er ging zum
Fenster, schaute nach draußen. »Ihr könnt nicht allein an diesen Ort gehen.« Er sagte es, als wäre es in Stein gemei ßelt. »Ich werde Sie begleiten, Miss Scarlet. Und dich, weise Schwester. Nicht zu vergessen den wuselnden, wendigen Mandrake hier.« Er sah uns einen nach dem anderen an. »Auf nach Hell Gate!«
Wir nahmen die Subway bis zur 86th Street, von dort aus gingen wir zu Fuß weiter, bis wir schon von Weitem das elegante Landhaus erblickten, das vor den Weiten des grauen East River dastand wie ein Relikt aus den Zeiten, als Lincoln noch nicht nach Süden geschaut hatte. Es war ein typischer Bau im Federal-Style, wie man ihn sonst überall in Louisiana oder Mississippi fand. Dahinter erstreckte sich der East River bis nach Williamsburg.
Ein Park säumte das Ufer und lud im Sommer zum Verweilen ein, jetzt nicht.
Scarlet blieb dennoch am Ufer stehen und betrachtete die Eisschollen, die wie schwere dunkle Träume auf den Wassern trieben. Manchmal sah man den Rücken eines riesigen Long Island Wals, wie er sich in Richtung der offenen See bewegte, manchmal konnte man die flache Schwanzflosse einer Nixe erkennen, die mit ihrem Schwarm zur Bronx schwamm, wo sich die Jagdgründe der Fliegenfische befanden.
Die Schiffe der Boat People schaukelten sanft auf den Wellen, während in den Kabinen warme Lichter brannten. Im Frühling würden sie weiterziehen, den Eerie Canal hinauf und weiter bis zu den großen Seen. Sie waren die Zigeuner der Flüsse, ein wanderndes Volk, das allerlei magische Dinge mit nach New York brachte, wenn es im Herbst von seinen Fahrten zurückkehrte.
Scarlet fühlte sich an den Battery Park erinnert.
An den Moment, in dem alles begonnen hatte.
Sie ließ die Brise ihr Gesicht streifen und fragte sich, wann und ob sie wieder nach Hause zurückkehren würde.
»Dort drüben befindet sich der Zugang zu den Neverglades«, sagte Christo Shakespeare und deutete auf das verfallene Anwesen. »Gracie Mansion«, nannte er den Namen des Landhauses. Die hellen Bretter waren schmutzig, und nasse Blätter lagen in Häufchen in den Ecken der Veranda herum, teilweise nackt, manchmal vom Schnee bedeckt. Überall war Schmutz und Abfall. Viele der Fensterscheiben waren zerbrochen.
Das einstmals elegante Landhaus war nun ein Ort, der den Winden und dem Wetter gehörte. Nachdem Master La Guardia, der frühere Bürgermeister der Stadt, dort gewohnt hatte, war es verwaist, und niemand war mehr dorthin gezogen. Man munkelte, dass es dort spukte. Dass die Geister aus den gierigen Sümpfen der Tiefe dort umgingen. Manch einer behauptete sogar, man habe dort riesige Alligatoren oder andere Tiere hinter den Fenstern gesehen. Es seien seltsame Laute von dort drinnen gekommen.
Sogar die Ratten meiden das Haus , bemerkte Buster.
Christo Shakespeare mied es nicht. Er schien sich hier bestens auszukennen.
Er öffnete die Tür.
Mühelos glitt sie auf.
»Endlich eine Tür, die sich öffnet«, sagte Scarlet.
Wir betraten das Haus vorsichtig.
Christo Shakespeare ging voran.
»Früher einmal«, flüsterte er, »während des großen Bürgerkriegs, da wurde das Landhaus sogar als Hospital genutzt.«
Soldaten waren hier untergebracht, ebenso einstmalige Sklaven, die in den Norden gekommen waren. Manche behaupteten, dass die Wodu-Priester Abraham Lincolns sogar versucht hätten, die ansteckenden Flüche der Ku-Klux-Kinderkrieger zu brechen. Zahlreiche Menschen
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