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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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East Side, zu lang, zu still.
    Als wir an dem Gang zu der Leichenhalle vorbeikamen, blieb Scarlet stehen.
    »Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. »John Doe«, murmelte sie. Nur diesen Namen. Dann sah sie mich an. »Die Theorie der vielen Johns .« Sie machte keinerlei Anstalten, bis zu der Tür oder gar durch sie hindurchzugehen. Nein, sie musste das Skelett nicht noch einmal sehen. »John Doe.« Konnte es ein Hinweis sein? Oder war es Zufall, dass sie gerade jetzt daran denken musste?
    »Sie glauben, dass uns John Doe dort drinnen einen Weg in die Hölle weist?«

    Scarlet zog ein Gesicht. »Nein, natürlich nicht.« Sie ging auf und ab, überlegte. »Nicht John Doe, nicht das Skelett.« Sie sah mich an, und ihr Blick sah so unternehmungslustig aus wie vorhin. »Nicht John Doe«, wiederholte sie, »aber ein John.«
    Christo Shakespeare starrte sie an. »Ein John?«
    »Ja.«
    »Welcher John?«
    »Irgendein John.«
    »Das müssen Sie mir erklären.«
    »Nun ja, der Name John war immer schon eine Art Synonym für Lucifer. Ein Name, den er gern benutzt hat. Vielleicht gibt es einen Ort, der mit dem Namen John in Verbindung gebracht werden kann. Vielleicht ist dort ein Tor zur Hölle.«
    Noch ein Tor?, fragte Buster.
    »Ich bin sicher, dass es mehr als eine Pforte gibt.«
    Der Streifenschwanzmungo überlegte nicht lange. John’s Pizzeria , sagte Buster. Dort gibt es definitiv die beste Pizza in ganz Manna-hata. Sogar Woody Allen isst regelmäßig dort.
    Wir alle sahen ihn entnervt an.
    »Nein, John’s Pizzeria ist bestimmt kein Zugang zur Hölle.«
    Am Ende war es Christo Shakespeare, der sich mit der flachen Hand gegen die Stirn schlug. »Warum sind wir nicht schon früher darauf gekommen?«, fragte er sich selbst.
    Alle starrten ihn an.
    »John«, sagte er.
    Wir nickten.
    »St. John.«
    Erneutes Nicken.
    »Die Kathedrale.«

    Ich klatschte in die Hände. »Bravo, das könnte es sein.«
    Scarlet wirkte zufrieden.
    Die Cathedral of St. John the Divine , fiepte Buster . Drüben in Morningside Heights.
    Dieses Ziel vor Augen, verließen wir Gracie Mansion mit neuer Zuversicht in den Herzen. Und während wir zur nächs ten Subway hetzten, zogen dichte Wolken über Manna-hata auf. Wildes Schneegestöber setzte ein, und irgendwo über den mit Sternen gesprenkelten Dächern von Gotham glaubten wir, das ferne Heulen der Wendigo zu hören.

KAPITEL 7
    FOLLOW THE YELLOW BRICK ROAD
    Manchmal zeigt einem das Leben seltsame Pfade auf. Man weiß nicht, wo sie hinführen. Man betrachtet einfach nur das Laub auf dem erdigen Waldboden und entscheidet sich dann für den Weg, der unbetreten aussieht.
    Doch Scarlet lief nicht durch den Wald, und was sie sah, das war nur Schnee, so rein und weiß wie die Unschuld der Kinder, die abhandengekommen waren. Sie betrauerte ihren Freund, und sie vermisste Jake Sawyer. Sie fühlte sich innerlich so leer wie nie zuvor, und doch war sie ganz aufgeregt, weil sie einem Ziel entgegenlief. Was immer auch vor ihr lag, irgendetwas würde passieren. Etwas, was eine Entscheidung mit sich bringen würde. Oh, wie sie es hasste, zu warten.
    Still zu sitzen war noch nie ihre bevorzugte Tätigkeit gewesen. Schon als Mädchen war sie immer nur gesprungen und gelaufen.
    In der Subway indes war sie wieder ganz still gewesen.
    Andauernd hatte sie Buster Mandrakes Fell gekrault.
    Ihm hatte es gefallen, immerhin, und ihre unruhigen Hände hatten eine Aufgabe gehabt.

    Dann waren wir in der 116th Street angekommen, und ihre Lebensgeister waren aufs Neue erwacht. Sie sah müde und blass aus, aber wer von uns tat das nicht.
    Zu viel war während der vergangenen Tage geschehen.
    Fast kam es mir so vor, als hätte ich Scarlet Hawthorne schon vor einer Ewigkeit an der Ecke Waverly Place und Waverly Place getroffen.
    Jetzt liefen wir über die Morningside Avenue, hinein in den Park, der spärlich beleuchtet war. Die kahlen Bäume bewegten sich knorrig im Wind, die Bänke, auf denen in den Sommertagen meistens jemand saß, waren verwaist, sah man von den Häufchen frischen Schnees ab, die auf ihnen ruhten. Seit einigen Stunden war niemand mehr hier entlanggegangen. Die Schneedecke war unbefleckt. Nur bei den Bäumen sah man kleine Spuren, die von aufgewachten Eichhörnchen oder hungrigen Ratten stammen konnten.
    Dann hörten wir es wieder.
    Klar und deutlich.
    Der Wind trug ein langgezogenes Heulen zu uns.
    »Wendigo«, sagte ich.
    Keiner dachte an etwas anderes. Alle blieben wir stehen und

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