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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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lebendig.

    Die Häuser, die den Park umgeben, sind nicht beleuchtet. Sie sind hier nicht mit Sternen gesprenkelt, wie in dem Gotham, das wir gerade eben verlassen haben. Es gibt keinen Schnee in der Luft. Der Boden ist dafür trotzdem mit einer dicken Schneeschicht bedeckt.
    Dann fällt Scarlet etwas anderes auf. »Es gibt keine Geräusche.«
    Ich lausche.
    Stille.
    Kreischend.
    Laut.
    Nichts!
    Die Kakophonie der riesigen Stadt ist verstummt.
    Das Hupen der Yellow Cabs, das tosende Leben in den Straßen Manna-hatas , das alles gibt es nicht.
    Es ist still, einfach nur still.
    »Das ist die Hölle?« Scarlet weiß nicht recht, was sie jetzt tun soll.
    Ich sehe mich um.
    Dann hören wir ein Schnalzen. Es kommt von den Bäumen, die den gelben Steinweg säumen. Es ist leise und grell und brüchig wie Eis unter den Füßen.
    Wir kennen dieses Geräusch.
    Scarlet wird ganz bleich.
    Es ist das Geräusch, vor dem wir in Hell Gate geflohen sind.
    Scarlet schaut zu einem der kahlen Bäume mit den krummen Ästen hinüber.
    Die Äste bewegen sich.
    Sie sind knorrig und sehen aus, als hätten sie Gelenke, die sie knackend zu bewegen vermögen.

    Die düstere Krone des alten Baumes verändert sich und wird zu einer Fratze mit langen, triefenden Kieferzangen und Facettenaugen. Der ganze Baum breitet unzählige Beine aus, und dann löst sich die Kreatur, die wir in den Sümpfen gesehen haben, aus dem Geäst heraus, springt auf die Schneefläche und wird zu einem Rorschachwesen, wie wir es uns in unseren kühnsten Albträumen nicht hätten erdenken können.
    In den anderen Bäumen am gelben Steinweg hocken weitere Kreaturen, die so ähnlich aussehen wie das Rorschachwesen und zugleich ganz anders sind. Doch alle sind sie auf Beute aus.
    Jetzt wissen wir es.
    Sie sind die eigentlichen Wächter der Hölle.
    Dann kommen sie über uns.
    Wir stehen regungslos da, erstarrt vor Schreck.
    Es gibt keinen Ort, an dem wir Zuflucht suchen können. Wir befinden uns auf einer weiten Fläche.
    Am roten Himmel über uns glauben wir zwei Gestalten zu erblicken, die in den Wolken schweben. Ihre mächtigen Schwingen aus Nacht und Nichts werfen zackige Schatten auf die Kreaturen, die sich uns nähern.
    Scarlet deutet nach oben. »Engel«, flüstert sie.
    Doch die Hoffnung, die eben noch in ihrer Stimme lebte, erstirbt, denn die Engel sind nur Zuschauer. Sie kommen uns nicht zu Hilfe. Sie kreisen dort oben und sehen nur seelenruhig zu, wie die Insektenkreaturen über uns kommen.
    Die dürren Leiber der Kreaturen krümmen sich, und da sind vor Gift triefende Stacheln.
    Scarlet spürt, wie sie gestochen wird.
    Dann spüre auch ich den Stich.

    Mit einem Schmerz, der uns alle Gedanken nimmt, sinken wir zu Boden und spüren nicht einmal den Aufprall.
    Scarlet Hawthorne, die es bis in die Hölle geschafft hat, schließt die Augen, und während das Gift in ihrem Körper zu wirken beginnt, denkt sie daran, wie scharlachrot und sanft durchwebt mit bunten Steinen und zugleich laut wie der Motor einer Indian Summer , Baujahr 1958, die Erinnerungen sein können.
    Dann nimmt die Hölle sich unserer an, so kalt und eisig, wie sie es wohl schon immer war.

ZWISCHENSPIEL

    AUS RIMA HAWTHORNES AUFZEICHNUNGEN

MÖCHTEST DU WISSEN, wie ich geboren wurde?
    Ich kann Dir das Jahr nennen, es war 1911, mein dreizehntes Jahr in New York. Sogar den Tag weiß ich noch, wie könnte ich ihn jemals vergessen? Es geschah an einem Samstag, am 25. März. Du warst gerade einmal acht Jahre alt. Seit drei Jahren lebten wir in der uralten Metropole, drüben in Greenwich Village.
    Jetzt, da ich mich mit dem Gedanken anfreunde, diese Stadt zu verlassen, kommt fast Wehmut auf.
    All die Jahre über habe ich wenig geschrieben.
    Dabei ist so viel geschehen.
    Du bist zu einem hübschen und klugen Mädchen herangewachsen. Du siehst Deinem Vater so ähnlich, Scarlet. Wenn Du später einmal wissen willst, wie Mortimer aussah, dann blicke einfach in den Spiegel. Ich liebe ihn noch immer, und wenn ich Dich ansehe und beobachte, was Du tust, dann weiß ich, warum ich ihn so liebe. Daran zu denken, dass er noch immer nicht weiß, dass es Dich gibt, kann mir auch an guten Tagen die Kehle zuschnüren.
    Alle paar Monate erreicht mich ein Brief von Maurice Micklewhite.
    Es geht ihm gut .
    Das ist alles, was er schreibt.
    In jedem Brief nur diese Worte.
    Doch ich sollte über das schreiben, was Dich interessieren wird, solltest Du diese Zeilen jemals lesen.

    Drei Jahre lebte ich in Micklewhite House,

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