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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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einzigartig hübsches Tricksterkind.
    Aber ich sollte es der Reihe nach erzählen.
    Es tut mir leid, wenn die Gefühle mich abschweifen lassen, aber das, was ich erlebt habe, ist so schrecklich und zugleich so wunderbar, dass es mir noch immer schwerfällt, die
Erinnerung an dieses Unglück als etwas zu akzeptieren, was sich wirklich zugetragen hat.
    Ich schreibe es trotzdem auf.
    Denn so hat es sich zugetragen …
    Wir arbeiteten alle sehr schnell an diesem Tag, weil wir noch dringender als sonst unsere Quoten erfüllen wollten. Es war ein milder Frühlingstag, und die Aussicht, den Lohn früher als sonst abholen und dann anschließend mit Tabitha und Dir in den Central Park gehen zu können, war mehr als verlockend. Jeder hing bei der Arbeit Gedanken wie diesen nach, jeder hatte jemanden, der auf ihn wartete.
    Doch dann passierte es.
    Eine Viertelstunde vor Feierabend roch die Erste von uns das Feuer. Später sagten die Inspekteure und Gardisten, dass jemand ein glühendes Streichholz oder eine Zigarettenkippe achtlos auf einen Haufen Stoffreste hatte fallen lassen. Sicher war sich aber keiner. Und am Ende war auch unwichtig, wer das Feuer verursacht hatte. Den Toten sind solche Gründe immer egal.
    Ich kann mich noch gut an die letzten Minuten erinnern. Kurz bevor die Hölle losbrach, hatte ich aus dem Fenster geschaut. Du mochtest es, wenn ich das tat. Du warst unten auf dem Gehweg, gemeinsam mit Tabitha. Du blicktest zu mir hinauf und winktest mir.
    Dann rief jemand lauthals »Feuer!«, und alle rannten in Panik zum Ausgang auf der Gebäudeseite zum Washington Place.
    Ich schloss mich den anderen an.
    Wir waren noch ruhig, doch dann sahen wir, dass etwas nicht stimmte. Die Türen, die nach draußen führten, waren verschlossen. Jeder wusste, was der Grund dafür war. Die
Bosse hatten sie verschließen lassen, weil sie Angst hatten, dass jemand unbemerkt eine Pause einlegen könnte.
    Einige von uns rannten zurück, andere blieben.
    Während das Feuer in Windeseile um sich griff und wie ein tasmanischer Teufel von einem Stoffballen zum nächsten sprang, griff die Panik immer weiter um sich. Die Mädchen schlugen verzweifelt mit den Fäusten gegen die Eisentüren, bis ihnen die Knöchel bluteten, und dann versuchten sie, die Türen gewaltsam zu öffnen.
    Einige der Arbeiterinnen, die weiter oben im neunten Stockwerk gearbeitet hatten, waren hinauf zur zehnten Etage gelaufen und über das Nachbardach geflohen. Weitaus mehr Menschen versuchten, sich in die Fahrstühle zu zwängen. Die Kabinen wurden zu schwer, und kurz darauf versagten alle Aufzüge, die nicht abgestürzt waren, den Dienst.
    Was wir befürchtet hatten, wurde zur Gewissheit.
    Wir waren gefangen.
    Die Feuerwehr, die schnell eingetroffen war, gab sich wirklich alle Mühe, die Brände im achten Stockwerk zu löschen, aber der Wasserdruck war zu gering, um etwas ausrichten zu können. Die Hitze wurde brennend, und der Qualm biss uns in die Gesichter. Das Atmen wurde schwerer. In der Panik, einen Weg nach draußen zu finden, wurden viele von der kopflosen Masse unkontrolliert drängender und sich gewaltsam einen Weg bahnender Leiber zerquetscht oder zu Tode getrampelt. Diejenigen, die es bis zu den Feuertreppen schafften, stürzten in die Tiefe, als die rostigen Metallstreben nachgaben.
    Es gab keine Fluchtmöglichkeiten mehr.
    Da waren die Gesichter der Mädchen und Frauen, alle geschwärzt vom Ruß, und in allen erkannte man Fassungslosigkeit
und Elend. Niemand glaubte mehr daran, das Gebäude verlassen zu können.
    Ich befand mich im siebten Stock und starrte nach draußen.
    Als die anderen ein zweites Mal in Panik zu den Ausgängen geströmt waren, hatte ich ausgeharrt. Ich wusste, dass es zu einem Unglück kommen würde, wenn die Menschenmenge in dieselbe Richtung rannte. Also blieb ich.
    War es mein Schicksal, hier oben in diesem flammenden Inferno zu sterben?
    Ich bin eine Trickster, und ich kann allein Kraft der Gedanken Feuer entstehen lassen, doch kann und konnte ich fremdes Feuer nicht beherrschen. Es war eine böse Ironie des Schicksals, die mich an diesen Ort geführt hatte.
    Unten auf der Straße versammelten sich indes immer mehr Menschen.
    Der Rauch musste überall in Manna-hata zu sehen sein.
    Sogar in den unteren Etagen züngelten die Flammen schon aus den Fenstern. Glasscheiben explodierten, und dann sah ich die brennenden Klumpen, die ich zuerst für Stoffballen hielt. Sie stürzten aus allen Fenstern. Nur langsam fielen sie nach unten,

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