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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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quälend langsam.
    Es waren keine Stoffballen.
    Es waren Mädchen und Frauen, die sich fest an den Händen hielten und dann sprangen. Es gab keinen anderen Ausweg für sie. Die Flammen trieben sie nach draußen. Nie zuvor hatte ich mir darüber Gedanken gemacht, wie lange ein Körper braucht, um aus einer Höhe von achtundzwanzig Metern und mehr nach unten zu fallen. Jetzt sah ich es. Ich hörte trotz der Schreie den Aufprall. Ich sah ein Mädchen, das mit den Armen ruderte und sich redlich bemühte, seinen Körper selbst im Fallen noch aufrecht zu halten.

    Dann war sie auf einmal nur noch ein regungsloser Haufen Kleiderstoff und gebrochener Knochen, irgendwo unten in der Straßenschlucht.
    Es würde schnell vorbei sein.
    Ich spürte die Flammen, und dann sah ich Dich, kleine Scarlet.
    Tabitha hielt Deine Hand.
    Ja, daran kann ich mich erinnern.
    An die unglaubliche Hitze, die mir den Atem nahm.
    Und an Dich.
    An Deine Aura, so scharlachrot, dass selbst das Feuer sich darin spiegelte. Es war ein Flimmern, und Deine Aura umarmte eine der Eichen, die unten den engen Gehweg säumten.
    Dann passierte es.
    Eine der Eichen, die unten an der Straße standen, begann sich zu bewegen. Es sah aus, als zerrte der Wind an ihren Ästen, als biege ein Sturm den Stamm, der so fest und dick war, in alle Richtungen. Doch dann sah ich, was wirklich passierte. Die Wurzeln des Baumes zogen sich aus der Erde zurück und krochen über den Asphalt. Der ganze Baum bewegte sich auf das Haus zu. Seine Äste reckten sich in die Höhe, er streckte sich. Die Zweige knarrten und schoben sich an der Hauswand empor. Wie Finger griffen sie in die Fenster, verhakten sich in Mauervorsprüngen und zogen den ganzen Baum hinter sich her. Die Wurzeln der Eiche erreichten die Wand, und sie taten es den Ästen gleich.
    Das war der Moment, in dem ich zu verstehen begann, was dort geschah. Die Eiche war auf dem Weg zu mir.
    Du hattest das bewirkt, kleine Scarlet.
    Du hattest mit der Eiche gesprochen.

    Schon früher hatte ich beobachtet, wie die Pflanzen, warst Du in der Nähe, ein absonderliches Verhalten an den Tag legten. Verwelkte Blumen erblühten, kranke Sträucher wurden grün. Es sah aus, als würde Deine Aura in die Pflanzen hineinfließen, als flüsterte sie ihnen etwas zu.
    Jetzt geschah es wieder.
    Die Eiche erklomm rasch das Asch Building, Stockwerk um Stockwerk, und die Menschen, die dort unten standen, wussten nicht, ob das, was sie sahen, auch wirklich passierte.
    Wie gelähmt stand ich am Fenster, hinter mir ein Flammenmeer, unter mir der Abgrund.
    Die Flammen züngelten nach der Eiche, und langsam fing sie Feuer. Ich sah, wie ihre sprießenden Knospen verkohlten. Doch der Baum schob sich weiter, kletterte die Fassade hinauf, ohne Unterlass.
    Dann waren die Äste bei mir. Sie griffen nach mir.
    Wie Fangarme wickelten sie sich um meinen Körper und hoben mich hoch, zerrten mich durchs Fenster nach drau ßen. Tief unter mir sah ich die Straße mit den aufgeregten Menschen. Mir schwindelte. Andere Äste fanden noch andere Mädchen, die kreischend wie Puppen durch die Luft getragen wurden.
    Benommen fragte ich mich, wie dem Baum der Abstieg gelingen sollte. Die Wurzeln, die sich weiter unten in die Fenster krallten, in jene Fensteröffnungen, aus denen jetzt lichterloh die Flammen züngelten, all diese Wurzeln und Äste, sie brannten jetzt auch. Die dunkle Rinde begann sich vom Stamm zu schälen, dicke Säfte rannen dem Baum über Zweige und Äste.
    Er wird es nicht schaffen, dachte ich und fühlte Mitleid mit dem Baum, der sein Leben für uns alle einsetzte.

    Dann schwangen die Äste, die einige der Mädchen gerettet hatten, über den Abgrund der Straßenschlucht hinweg. Mit aller Wucht wurden wir gegen das Haus geschleudert, das dem Asch Building am nächsten war. Der Baum hatte nicht lange überlegt, ob wir uns verletzen könnten. Wir prallten gegen die Fenster, und das splitternde Glas schnitt uns in die Haut. Kopfüber stürzten wir in die Räume und schlugen schwer auf.
    Ich spürte den Aufprall, und dann war da nur Schwärze.
    Als ich wieder bei Sinnen war, lag ich in einem Zimmer. Menschen, die ich nicht kannte, standen um mich herum. Sie halfen mir auf die Beine. Mit letzter Kraft stürmte ich zum Fenster.
    Die Eiche, die wie ein wucherndes Gewächs in zwanzig Metern Höhe an der Wand des Asch Building hing, konnte sich nicht mehr festhalten und stürzte brennend auf die Stra ße hinab.
    Ich schrie laut auf, weil ich Dich dort unten

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