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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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drüben in Staten Island, doch dann war es an der Zeit zu gehen.
    Master Micklewhite und seine Frau trugen keine Schuld an meiner Entscheidung, wieder nach Manna-hata zu gehen. Vielmehr wollte ich frei sein von dem, was sich einst in London zugetragen hatte. In der ganzen Zeit, die wir bei ihnen lebten, hatte ich mich nie wirklich davon lösen können. Und das Einzige, was mich noch mit meinem alten Leben verband, war eben diese Familie, die sich so großmütig um mich gekümmert hatte.
    Mir brach es das Herz, ihnen Lebewohl zu sagen. Doch ich musste es tun.
    Tabitha hatte das Haus ein Jahr zuvor verlassen, weil ein Verwandter von ihr einen Laden in Greenwich Downtown eröffnet hatte. Er handelte mit Steinen, Kräutern und allerlei magischen Gegenständen. Er glaubte an Wodu und die Künste, die man in der alten Zeit praktizierte. Sie wohnte dort unten, in der Cherry Lane, wo Schwarze wie Weiße sich einem neuen Leben verschrieben hatten.
    Dorthin gingen wir, in die Stadt unter der Stadt.
    Ich weiß, dass Du es nie wirklich mochtest.
    Du konntest die Tunnel und die verschlungenen Pfade der uralten Metropole niemals wirklich in Dein hungriges Herz schließen.
    Du sehntest Dich immer nach dem Himmel, wolltest die Geschichten der Indianer hören, all die abenteuerlichen Geschichten, die von Büffelherden und von Jägern und Wigwams und Medizinmännern erzählten.
    Trotzdem warst Du geduldig.
    Ich fand eine Anstellung in der Triangle Waist Company , wo ich als einfache Näherin arbeitete. Es war anstrengend, aber
es wurde gerecht entlohnt. Wir waren allein und konnten nicht wählerisch sein. Es war eben so – und niemals anders.
    New York war gewachsen. Und wuchs noch immer.
    Immer neue Einwanderer waren in die Stadt gekommen, ein jeder suchte nach Arbeit. Ein Jahr vor meiner Geburt kam es zu Arbeitsniederlegungen, überall in der Stadt. Die Gewerkschaften zwangen die Arbeitgeber erstmals in der langen Geschichte des Landes zu Verhandlungen. Es wurden gerechtere Löhne gefordert, und die Arbeitsbedingungen sollten sicherer sein.
    Die Fabrik, in die ich jeden Tag ging, war ein Ort, der laut und modern war.
    Sie befand sich in den obersten vier Stockwerken des Asch Building, nur einen Block westlich vom Washington Square. Ein hohes Gebäude, wie sie in Massen aus dem Boden sprossen. Mächtige Eichen säumten den Platz vor dem Gebäude und spendeten angenehmen Schatten in den Sommermonaten. Sie waren der letzte schöne Anblick, wenn man die Fabrik betrat.
    Die Triangle Waist Company war ein lauter Ort. Schon wenn man die Treppe hinaufstieg, spürte man überall die Vibrationen der Nähmaschinen. Öffnete man die Tür, wurde der Lärm ohrenbetäubend. Die Richtzeiten für die Arbeiter wurden vom Akkord oder den Leistungen der Schnellsten bestimmt.
    Ich arbeitete im siebten Stockwerk.
    Es waren weite Räume, die das gesamte Stockwerk einnahmen.
    Die Arbeitsplätze waren in Reihen angeordnet, nach einem System, das symmetrisch und effizient war. Kontrolleure, die Fertigungszeiten maßen, gingen zwischen den Plätzen auf
und ab, blickten streng und missmutig von einem Tisch zum nächsten, notierten sich Dinge in kleine Bücher. Jede von uns Frauen und Mädchen hatte eine eigene Nähmaschine, die mit dem Fuß auf einem Pedal angetrieben wurde. Die Anzahl der herzustellenden Stücke wurde uns vorgeschrieben. Konnte man das Tempo nicht halten, bekam man Geld vom Lohn abgezogen. Passierte einem dieses Missgeschick mehr als einmal, so wurde einem gekündigt. Es gab zu viele Menschen, die Arbeit suchten, als dass man sich mit denen beschäftigt hätte, die zu langsam waren.
    Mein Tagesablauf war immer der gleiche. Tabitha, die morgens in den Laden ging, nahm Dich mit. Du spieltest bei ihr zwischen all den ausgestopften Puppen und den seltsamen Kräutern. Ja, Scarlet, in dem seltsamen Gewächshaus wurdest Du groß. Du liebtest diesen Ort. Mit leuchtenden Augen erzähltest Du von den Dingen, die Du entdeckt hattest, während ich Stoffstücke zusammennähte und zuschnitt.
    Oft kam Tabitha mit Dir zur Fabrik, bevor die Schicht endete, und Dein Gesicht strahlte jedes Mal, wenn ich aus dem Tor trat und wir uns in die Arme fielen. Ich war immerzu müde, doch wenn ich Dich lächeln sah, erwachten die Kräfte wieder in mir.
    Auch an jenem Samstagnachmittag, der so schrecklich enden sollte, brachte Tabitha Dich zur Triangle Waist Company .
    Das ist der Grund, weshalb ich wieder geboren wurde.
    Du warst der Grund, wunderbare Scarlet.
    Mein

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