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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Michael.
    »Ja.«
    Dann lächelte er und sagte: »Folgt dem gelben Steinweg.«
    Noch bevor Scarlet etwas erwidern konnte, bewegten sich die gelben Steine des Brunnenbodens.
    Die Skulptur aus Bronze, zu der jetzt kein Engel mehr gehörte, sondern die nur noch ein Baum mit einem Harlekingesicht war, wurde zum Zentrum eines Strudels.
    Die gelben Steine wirbelten um das Zentrum des Brunnens herum.

    Wir traten zurück, fort von dem Brunnen.
    Dann begannen sich die Steine in Windeseile abzusenken.
    Eine Wendeltreppe aus gelben Steinen führte in die Tiefe, die im Dunkeln lag.
    Der Engel drehte sich zu der Skulptur um, die jetzt keinen Engel mehr besaß.
    »Ich werde Euch folgen«, sagte er, »aber jetzt noch nicht.«
    Die Wendeltreppe stand still.
    »Erst später.«
    Follow the yellow brick road.
    »Was passiert mit Shakespeare?«, fragte ich. Die in der stillen Zeit erstarrten Wendigo würden bald wieder zum Leben erwachen.
    »Er kann nicht mitkommen. Die Zeit wird bald nicht mehr stillstehen. Ihr müsst jetzt gehen.« Das war alles, was der Engel uns zu tun auftrug. »Geht jetzt, wenn Ihr wirklich gehen wollt.«
     
    Follow the yellow brick road.
    Scarlet ging voran.
    Sie wusste nicht, was sie anderes hätte tun können.
    Die Welt war erstarrt im Augenblick, doch auch dieser Augenblick würde verrinnen wie Sand im Stundenglas. Und wenn dies geschah, dann würde all das wieder zum Leben erwachen, was jetzt noch ein Stillleben war.
    »Kommen Sie!«, forderte sie mich auf.
    Ich seufzte.
    Sah ein letztes Mal dem Engel in die bronzefarbenen Augen und fragte mich, was diese schönen Augen schon alles gesehen hatten in dem Leben, das die glühende Ewigkeit vom Anbeginn der Zeit gewesen sein mochte.
    Der Engel tat nichts.

    Er stand nur da.
    Ich stieg hinab.
    Dann hörte ich, wie er die Schwingen ausbreitete und die Welt mit all ihren tosenden Geräuschen erneut zum Leben erweckt wurde. Wendigo heulten in der Nacht. Ein schrilles Kreischen, das sich wie der Beuteruf eines Raubvogels anhörte, durchschnitt das Schneetreiben.
    Wir indes waren in dumpfem Dämmerlicht gefangen.
    Nur die gelben Steine der Treppe leuchteten uns den Weg hinab in die Hölle.
    Tiefer und tiefer stiegen wir.
    Schweigend.
    Der gelbe Steinweg führte immer weiter, und wir wussten nicht, wie lange wir gingen. Es wurde ruhig. Die Stille selbst wisperte die Dinge, die in unseren Köpfen und Herzen zu stummen Liedern wurden, die wir nie wieder singen würden.
    Nicht hier.
    An diesem Ort.
    Denn wir erreichten die Hölle.
     
    Follow the yellow brick road.
    Das ist es, was ihr durch den Kopf schießt.
    Sie erinnert sich an das Lied.
    Die Straße.
    Den Weg.
    Es gibt keinen Zauberer von Oz. Nicht hier.
    Ja, jetzt sind wir an einem Ort, der bisher nur in unseren Träumen existierte.
    »Wohin gehen wir?«, fragt mich Scarlet.
    »Geradeaus, immer der Nase nach.«
    »Warum ist der Engel nicht mit uns gekommen?«, fragt sie.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Tun wir das Richtige?«
    Ich schweige.
    Scarlet nickt. Sie muss nicht aussprechen, was sie denkt, es steht ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
    Für einen kurzen Augenblick zögern wir. Dann betreten wir den fremden Ort und folgen weiter dem Weg. Wir sehen, was vor uns liegt. Alles ist so vertraut und doch ganz anders, als wir es uns in den kühnsten Träumen ausgemalt haben.
    Es ist eisig kalt hier unten.
    »Sind wir wirklich in der Hölle?«, fragt Scarlet.
    An einem Horizont, den es gar nicht geben dürfte, geht eine gelbe Sonne auf, die wunderschön ist und so kalt wie ein Herz, das unter den Dielen eines Raumes schlägt.
    Da sind krumm gewachsene Bäume, die endlose Wanderwege und weite Schafweiden säumen, es gibt große und kleine Seen und geschwungene Brücken und Schlösser, gewundene Wasserläufe, zugefroren in diesem Winter, irgendwo jenseits der uralten Metropole. Vögel mit ledrigen Schwingen sitzen auf den Ästen der Sträucher und Bäume.
    »Das ist der Central Park«, stelle ich verwundert fest.
    »Nein«, erwidert Scarlet und zieht den Flickenmantel enger um sich, »das ist nur ein Ort, der aussieht wie der Central Park.« Sie folgt dem gelben Steinweg, der sich über Hügel und durch Täler schlängelt.
    Unter einem tiefroten Himmel, der nicht von dieser Welt ist, erkennt sie die prächtige Fassade des American Museum of Natural History , gleich daneben die San Remo Apartments und ein Stück weiter eine düstere Version des Dakota Building.
    Die Bäume sehen unwirklich aus, schräg und schief und so

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