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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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wähnte. Doch wie ich später erfahren sollte, hatte Tabitha Dich vom Ort des Unglücks weggezogen. Zu groß war die Gefahr gewesen, von einem der fallenden Leiber verletzt zu werden.
    Ich dachte nicht mehr nach. Ich lief nach unten.
    Auf der Straße erwartete mich die Hölle.
    Feuerwehrleute taten, was immer sie tun konnten. Das Löschwasser, das in Rinnsalen über die Straße lief, war rot von Blut. Da war ein Mann, der schreiend auf zwei Polizisten einprügelte, weil er in dem von einem schmutzigen Tuch verdeckten Fleischklumpen seine Frau erkannte. Berge von Leibern türmten sich auf der Straße auf. Die Pferde der Feuerwehr scheuten, weil der Geruch nach Blut sie verunsicherte. Löschwagen lagen umgekippt auf der Straße. Sprungnetze
waren gerissen, und gekrümmte Leiber ragten aus ihnen heraus. Die Menschen schrien und weinten bitterlich, knieten neben Angehörigen, suchten nach Gesichtern, die sie kannten. Die Polizisten und Feuerwehrleute standen hilflos da und versuchten, des Chaos Herr zu werden.
    Und ich?
    Ich suchte nach Dir.
    Wie blind rannte ich durch die Straße, stolperte über die Leichen und lief dennoch weiter.
    Dann sah ich Dich und Tabitha.
    Ihr hattet Euch in Sicherheit gebracht. Oh, Scarlet. Wir fielen einander in die Arme. Ich heulte wie ein Kind. Du weintest auch.
    Am Ende der Straße brannte die Eiche noch immer lichterloh.
    »Sie hat dir geholfen«, sagtest Du. »Die Eiche hat euch allen geholfen.«
    Ich drückte Dich nur an mich.
    Dann umarmte ich Tabitha.
    Zuletzt euch beide.
    Jetzt weißt Du, wie ich geboren wurde.
    Ich kann Dir das Jahr nennen, es war 1911.
    Es geschah an einem frühlingshaften Samstag, am 25. März, einfach so.
    Du warst gerade einmal acht Jahre alt und hattest eine Eiche gebeten, mich zu retten. Es klingt verrückt, aber genau so hat es sich zugetragen.
    Die Eigentümer der Triangle Waist Company , Isaac Harris und Max Blanck, wurden angeklagt, weil sie die Arbeiterinnen in der Fabrik eingesperrt hatten. Sie wurden freigesprochen, was die Öffentlichkeit empörte. Niemand konnte ihnen nachweisen,
dass sie die Türen versperrt hatten. Und am Ende machte nichts von alledem die toten Mädchen und Frauen wieder lebendig.
    Ich ging nie wieder dorthin.
    Dieser Teil meines Lebens war vorbei.
     
    Danach arbeitete ich in Tabithas Laden. Wir lebten weiter in der Cherry Lane in Greenwich Downtown. Du wurdest älter – und während sich Dein zwölfter Geburtstag näherte, endeten die Roaring Twenties mit einem Börsenkrach, und es begann die Zeit, die als die große Depression in die Geschichte Amerikas einging. Manna-hata bekam ein neues Gesicht. Das Chrysler-Building wurde fertiggestellt, dazu das Empire State Building. Lindbergh flog über den Atlantik, die Prohibition wurde aufgehoben, und die Vereinigten Staaten traten in den Zweiten Weltkrieg ein. Als Du an Deinem dreizehnten Geburtstag die Kerzen ausblasen durftest, da wurde in Gotham hoch über uns jede Nacht der Times Square verdunkelt.
    Das alles ist jetzt vorbei. Die Zeit, das wissen wir, läuft anders, wenn man in der uralten Metropole lebt.
    Ellis Island wurde gestern geschlossen. Ich kann kaum glauben, wie viel Zeit seit meiner Ankunft auf der Hyperion vergangen ist. Wir werden morgen abreisen, nach Indianapolis. Ich muss das alles hinter mir lassen.
    Du auch.

DRITTES BUCH

    SOMNIA

KAPITEL 1
    ZAUBERER VON OZ, LORD DES LICHTS
    Der Himmel ist manchmal wie Wasser, ganz scharlachrot und voller Träume, die wie Bruchstücke eines schon vor langer Zeit verlorenen Paradieses zwischen den Wolken schweben. Man schaut ihnen hinterher und sieht die verschiedensten Dinge. Man streckt die Hand aus und kann doch keines von ihnen berühren.
    So ist das Leben.
    Scarlet Hawthorne erfuhr dies, als sie dem Zauberer von Oz begegnete und die Dinge eine völlig andere Wendung erfuhren, als sie es je in ihrem Leben gedacht hätte.
    Jetzt sind wir da, wo die Rorschachwesen uns vergiftet haben. Noch immer auf dem gelben Steinweg.
    Irgendwo im Nirgendwo.
    »Wo sind wir?«, fragt Scarlet.
    »Noch immer in der Hölle.«
    Sie schaut auf, lächelt unsicher.
    »Es ist vorüber.«
    Scarlet setzt sich mühsam auf. »War es denn nicht nur ein Traum?«, fragt sie benommen.

    Sie kann es kaum glauben. Aber wenn man etwas sieht, dann muss es wohl wirklich wahr sein, oder?
    »Es war viel mehr als das.«
    Sie nickt. Sie muss ihre Gedanken ordnen, bevor sie etwas sagen kann.
    Dann ergreift sie die Hand, die ihr gereicht wird, und lässt sich ins Leben

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