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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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bunten Flicken des Mantels im Gewühl der Leiber auftauchen.
    Wir holten sie erst am Bahnsteig ein.
    Sie stand mit zu Fäusten geballten Händen da, still und steif wie festgefroren, und starrte in die Menschenmenge hinein.
    Jake war als Erster bei ihr. Er legte ihr die Hand auf die Schulter, behutsam, weil er sie nicht erschrecken wollte. Au ßerdem kannte er sie ja gar nicht, nein, eigentlich kannte er sie wirklich nicht. »Alles okay?«, fragte er leise.
    Sie nickte, ohne ihn anzusehen.
    »Was ist passiert?«, fragte ich und schnappte nach Luft.
    »Ich weiß, wie er gelebt hat. Ich konnte es fühlen.« Sie sah mich an. »Sie hat es mir gesagt.«
    »Die Pflanze!« Ich hatte es geahnt.
    Scarlet nickte.
    »Tricksterkind«, sagte ich. Das war Erklärung genug. Dann nahm ich sie in die Arme, einfach so. Sie atmete langsam und ließ diese Umarmung zu. »Sie können Dinge, die andere nicht können.«
    Sie seufzte.
    Langgezogen.
    Tief.
    »Ich kenne die uralte Metropole«, flüsterte sie. »Es ist nur ein Gefühl. Wie ein Geruch, den man schon einmal gerochen hat. Ich kann ihn nicht fassen, aber er ist da.« Sie löste
sich aus der Umarmung, wischte sich schnell die Tränen aus den Augen und rang um Fassung. »Die Pflanze«, sagte sie, »hat in Bildern zu mir gesprochen.« Sie ließ den Blick durch die Station gleiten. Ein Zug fuhr ein, und lau wehte der Fahrtwind ihr ins Gesicht. »Ich weiß, dass es eine Stadt unter der Stadt gibt.«
    Ich nickte nur. »Sie wissen es, junge Miss Scarlet, weil Sie schon einmal dort unten gewesen sind«, sagte ich schnell, ohne im Geringsten zu wissen, ob das jetzt auch wirklich der richtige Zeitpunkt war, um damit herauszurücken. »Vielleicht haben Sie sogar dort unten gelebt.«
    Scarlet starrte mich an.
    »Was soll das heißen? Ich habe niemals dort unten gelebt!«
    »Vielleicht doch.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    Ich trat vor sie und fasste sie an den Händen. »Ich denke, ich sollte ehrlich zu Ihnen sein, junge Miss Scarlet. Und am Ende gibt es nie den richtigen Zeitpunkt, sondern nur Momente, die tatenlos verstreichen.«
    Buster Mandrake, der neben mir hergelaufen war, erreichte uns und kletterte erneut auf meine Schulter. Er liebte diesen Platz. Und er nickte Scarlet zu. Es geht ihm gut, sagte er , dem alten Mann. Sein heiliger Gral lebt wieder. Das war sehr nett von Ihnen.
    »Ich weiß nicht, warum ich das getan habe«, gestand Scarlet. »Es ist einfach so passiert. Ich kann nicht einmal genau sagen, was ich da getan habe.«
    Sie haben ihm Hoffnung gegeben , sagte Buster.
    »Er sah so verloren aus.«
    »In London«, erinnerte ich mich, »nannten manche sie Restefresser. Aber das sind sie nicht, oder?!«

    Scarlet schüttelte den Kopf.
    Verwirrt, noch immer.
    »Warum kann ich diese Dinge tun?«
    »Du bist ein Tricksterkind«, antwortete Jake.
    Dann fuhr ich fort: »Während der vergangenen Nacht, müssen Sie wissen, da habe ich anhand Ihres Namens versucht, etwas über Sie herauszufinden. So etwas ist normalerweise nicht sehr schwer. Nicht in Amerika, nicht in dieser Zeit.«
    »Aber?« Der Trotz erwachte in Scarlets Stimme.
    »In Ihrem Fall gestaltet es sich nicht so einfach, wie ich gedacht habe.«
    »Was heißt das?«
    »Sie sind Scarlet Hawthorne, und Sie wurden drüben in Greenwich geboren.«
    Die dunklen Augen spiegelten meine Worte. »Woher, in aller Welt, wollen Sie das wissen?«
    Noch immer hielt ich ihre Hände. Sie zitterten, immer mehr.
    »Ich habe die Archive der Stadt bemüht, und damit meine ich bestimmt nicht das, was die Behörden im Rathaus horten. Nein, dies hier ist New York, die Stadt, die niemals schläft. Es gibt andere Wege, die man gehen kann, um die wichtigen Dinge zu erfahren.« Ich packte sie am Ärmel und zog sie weiter. »Aber wir sollten nicht herumstehen, das fällt nur auf.« Wachsam schaute ich mich um. »Wir sollten zu diesem Siding gehen.«
    Die Leute werfen mir ohnehin seltsame Blicke zu , gab Buster Mandrake zu bedenken. Sie mögen keine Tiere, die auf den Schultern anderer Menschen sitzen. Nicht einmal hier in New York.
    »Um eine lange Geschichte ganz kurz zu machen«, fuhr ich
fort, während wir weitergingen, »in den Chroniken von Ellis Island ist eine junge Frau namens Rima Hawthorne erwähnt. Sie kam aus der uralten Metropole von London nach New York, mit einem Schiff, wie so viele andere auch. Sie war allein, es gab keinen Mann. Und sie war schwanger.«
    »Wann war das?«
    »Im Jahre 1898. Sie wurde registriert, wie alle anderen

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