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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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die Straßen. Inzwischen sind sie groß. Man lehrte sie, was die runden Schriften flüsterten.«
    »Runde Schriften?«
    »Schallplatten. Sie befolgten, was die Schallplatten ihnen auftrugen.«
    Scarlet sah ein schiefes Haus mit der Aufschrift Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club . Eine Band spielte darin.
    Es roch nach Räucherstäbchen und Duftkerzen.
    »Es ist wie ein schöner Traum«, flüsterte sie und lauschte den Melodien. Dann besann sie sich: »Der Uhrwerkmensch sagte vorhin, dass er mir einen Heiler empfohlen habe.« Ja, das war es. Einen Heiler, so hatte er ihn genannt. Einen alten Heiler, der jung geblieben war, hier in Strawberry Fields. Was die Frage aufwarf: »Wo finden wir einen Heiler?«
    Ich war diejenige, die die Antwort wusste: »Wir fragen!«
    Der einfache Weg ist meist der beste.
    Ein Händler mit Ziegenbart, der Töpferware feilbot, gab uns die Information, nach der es uns verlangte. »Thoreau lebt drüben in der Hütte am Waldrand«, sagte er.
    »Thoreau?«
    »Davy, so wird er von allen gerufen.« Der ziegenbärtige Händler beschrieb uns den Weg.
    Die Vorstellung, dass es hier unten einen richtigen Wald
geben könnte, fand Scarlet mehr als nur befremdlich, doch erreichten wir den Wald schon nach wenigen Minuten. Gleich hinter dem Jahrmarkt aus Zelten und Buden erstreckte er sich in der Tiefe der Höhle. Nadelgewächse verströmten den schweren Geruch nach Weihnachtszeit, nur wenige Laubbäume raschelten dazwischen. Es gab Gräser am Boden und Moos auf den Steinen. Zwischen den Bäumen wuchsen Erdbeeren, wie überall sonst in der Höhle auch. Scarlet mochte diese Gegend, sie mochte den Wald. Sie wusste nicht, wie die Bäume hier unten leben konnten, so gänzlich ohne des Tages Licht, aber am Ende war das nicht von Belang. Sie taten es. Es gab den Wald. Er existierte, wie manche Dinge eben existieren. Die Biene konnte fliegen, obwohl es ihr eigentlich unmöglich sein sollte. Und der Wald lebte grün und gesund in der Tiefe unterhalb des Central Parks.
    Ein Wunder?
    Völlig normal?
    Am Ende war es egal.
    Die Hütte von Davy Thoreau zu finden stellte jedenfalls kein Problem dar.
    An den Waldrand schmiegte sie sich, als habe sie ein Liebesverhältnis mit den Bäumen, deren Äste sich schützend wie ein Schirm über ihr ausbreiteten. Es war eine Blockhütte, erbaut aus mächtigen Holzstämmen, mit kleinen Fenstern und einem Kamin aus schweren Steinen.
    Ein junger Mann saß auf einer Bank vor der Hütte und schaute auf, als er uns nahen sah. Er trug die feste Kleidung der Waldarbeiter und schrieb mit Tinte und Feder einige Zeilen in ein Notizbuch.
    »Was führt Sie zu mir?«, rief er uns schon von Weitem entgegen und klappte das Notizbuch zu. Er spähte über den
Rand einer runden Brille und lächelte gütig: »Miss Hawthorne, Sie beehren mich schon wieder? Sagen Sie, wie geht es Ihrer Wunde?« Er stand auf und kam uns entgegen. »Davy Thoreau«, stellte er sich uns vor.
    »Sie kennen mich?«, fragte Scarlet.
    Thoreau wirkte überrascht. »Warum sollte ich Sie nicht kennen? Es ist keinen Tag her, dass Sie mich aufgesucht haben.« Er deutete auf ihre Stirn. »Wegen der Wunde da.« Er betrachtete sie näher. »Hm, sie ist wirklich gut verheilt, würde ich sagen.« Er lächelte freundlich. »Das haben Sie meinen Kräutern zu verdanken. Der Wald, müssen Sie wissen, gibt uns alles, was wir brauchen. Ich habe das schon vor langer Zeit herausgefunden, und … es stimmt.«
    »Ihr seid Master Thoreau?« Es war wirklich eine Frage, vollkommen ehrlich gemeint.
    »Master Thoreau klingt so förmlich. Hier nennen mich alle Davy. Einfach nur Davy.«
    »Anthea Atwood«, stellte ich mich vor und richtete sogleich eine Frage an ihn: »Wie lange leben Sie schon hier unten?«
    »Im Jahr 1881 fand ich den Weg, der mich hierherführte. Der Wald existierte damals schon, lange vor den Erdbeerfeldern und vor dem englischen Waisenhaus. Ich errichtete die Hütte und zog mich zurück. Es war so ruhig hier unten.« Er kraulte Buster Mandrake am Kopf. »Die lärmende Welt da oben ließ ich zurück, und es fiel mir nicht schwer. Und am Ende ist es selbst jetzt noch ruhiger als oben in der Stadt, und, wenn ich ehrlich bin, ebenso schön wie unter freiem Himmel. Und außerdem«, er kramte in seiner Westentasche herum und beförderte eine kleine Pfeife aus hellem Holz ans Licht, »außerdem wird man immer jünger, je länger man hier lebt.«
    »Deshalb leben Sie hier unten?«, fragte Scarlet.
    »Hm, ja, genau«, meinte Thoreau, und

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