Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
wenn sie einander nicht leiden können. Er hat mir hier und da aufgelauert. Ich musste jederzeit damit rechnen, dass er irgendwann und irgendwo hinter irgendwelchen Ecken auftauchte und mich in eine üble Streiterei verwickelte.«
    Streitigkeiten endeten immer in einer Schlägerei.
    »Sean war einen Kopf größer. Er war zwei Jahre älter. Und stärker als ich.«
    Irgendwann brachte Sean seine Freunde mit ins Viertel. Die neue Gang hielt es für eine gute Idee, den jüngeren und kleineren Kindern Wegzoll abzuknöpfen. Die Exeter Street gehörte ihnen fast einen ganzen Block weit.
    »Sie nannten sich die Catskills. Fiel man ihnen in die Hände, dann musste man bezahlen.«
    Geld, Handschuhe, Knöpfe, Murmeln, was immer sich anbot.
    »Seine Aura war giftgrün«, erinnerte sich Jake. »Und sie wurde rot, wenn er einen schlug.«
    Scarlet schwieg.
    »Es war an einem Tag im Winter, als ich seine Aura zum ersten und einzigen Mal berührte.« Jake konnte nur mühsam darüber sprechen. »Ich lief in einer Seitenstraße mitten in sie hinein. Sie waren zu dritt. Zwei Catskills hielten mich fest, und Sean boxte mir in den Magen.«
    Es tat weh.
    Die Welt explodierte in grellem Rot.
    »Dann packte ich ihn.«
    Jake Sawyer, der am Boden lag, blickte auf und griff dem Jungen so fest in die Aura, wie er nur konnte. Er musste ihn dazu nicht einmal berühren.
    »Der rote Schimmer verschwand auf der Stelle.«

    Die anderen beiden Catskills-Jungs sahen nur die Veränderung in den Augen ihres Anführers.
    Er zückte ein Messer.
    »Ich nahm ihm jedes schöne Gefühl«, sagte Jake. »Ich ließ nichts mehr in der Aura zurück.«
    Sean wurde von einer wie aus dem Nichts aufkommenden Welle allertiefster Schwermut erfasst. Die Aura, die ihn umgab, begann zu flackern.
    Jake tat, was nur er tun konnte.
    Er atmete alles, was Sean verlor, im Bruchteil einer einzigen Sekunde ein. Und Jake Sawyer fühlte sich gut. Er fühlte sich, als habe er eine neue, bislang noch unentdeckte Droge geschluckt.
    Dann war es vorbei.
    »Sean rammte sich ein Messer in die Brust.« Jake senkte den Blick. »Ja, das hat er tatsächlich getan.«
    Die anderen Catskills verstanden zuerst nicht, was genau dort vorging. Dann erinnerten sie sich, dass Jake ein Wechselbalg war. Dass seine Mutter die hübsche Elfe gewesen war, die bis vor etwa einem Jahr noch in der Wäscherei an der Ecke gearbeitet hatte. Ihnen wurde bewusst, dass Jake Sawyer der Junge war, der nicht nur ein wenig seltsam war, nein, er war nicht nur seltsam, sondern darüber hinaus noch einer von denen, die in der uralten Metropole ein uns aus gingen.
    »Sie wussten, dass ich es getan hatte.« Er stockte. »Niemand konnte es mir nachweisen.«
    Polizisten verhörten ihn.
    »Wie alt warst du?«, wollte Scarlet wissen.
    »Elf.«
    »Und Sean?«

    »Er verblutete, mitten auf der Straße. Ich kniete neben ihm. Sein Blut war überall auf meinen Sachen. Ich sah ihm in die Augen, die ganze Zeit über. Er wich meinem Blick nicht aus. Er wusste, dass ich es gewesen war, er wusste, dass ich etwas mit ihm gemacht hatte, etwas, was ihn das mit dem Messer hatte tun lassen. Er hatte Angst vor mir. Dann starb er.« Jake zog sich die Brille aus, rieb sich die Augen. »Mein Vater war außer sich vor Zorn«, erinnerte er sich. »Zum ersten Mal in meinem Leben hat er mich verprügelt. Das tat er sonst nie. Dad prügelte mir die Verantwortung förmlich ein, und er hörte erst damit auf, als ich es garantiert begriffen hatte. Er weinte dabei, unentwegt.« Jake leerte das Glas vor sich. »Ich hatte ihn davor nur ein einziges Mal weinen sehen, und das war, als er mit den anderen meine Mutter aus dem Haus trug.« Er hielt das Glas in der Hand, drehte es hin und her. »Seit diesem Tag habe ich es nie wieder getan. Nie so. Es ist keine gute Gabe. Ich bin nicht stolz darauf, es tun zu können.«
    Scarlet widerstand dem Drang, seine Hand zu ergreifen. Sie glaubte nicht, dass Jake das gewollt hätte.
    »Ein Jahr zuvor war meine Mutter an Tuberkulose gestorben. Es war ein kalter Winter gewesen. Sie war nicht das einzige Opfer in der Stadt.« Er redete einfach weiter, und seine Stimme klang jetzt wie ein trauriges Lied. »Im Sommer danach ereilte meinen Vater der Tod. Es war, als wollte mich das Leben für das bestrafen, was ich Sean angetan hatte.« Jakes Stimme zerbrach in so viele Töne, so viele Bilder. »Sie gruben sich durch die Erde.« Er stockte erneut. »Wir lebten damals in der uralten Metropole. Nach der Sache mit Sean hatten wir die

Weitere Kostenlose Bücher