Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia
alte Gegend verlassen müssen.« Jake saß ganz still da. »Als die beiden Tunnel aufeinandertrafen, da wurde
Dad Opfer des Vakuums. Die Luft riss ihn in die Öffnung, bevor der Rest des Tunnels zusammenbrach.«
Ein Unglück, wie es viele gegeben hatte. Doch keines, das Jake je vergessen hätte.
»Als der Holland Tunnel fertiggestellt war, gedachten sie kurz der Arbeiter, die beim Bau ihr Leben gelassen hatten.« Das war alles, eine kurze Erwähnung während der Festlichkeiten, sonst nichts.
»Von dem Tag an war ich ein Waisenkind.«
»Wie alt warst du?«
»Vierzehn.«
»Wo hast du gelebt?«
»Überall.«
»Hier unten, in der uralten Metropole?«
»Ja.«
»Und Mistress Atwood?«
»Ich irrte durch die Stadt unter der Stadt, schlief in stillgelegten Schächten und hatte mir ein Nest aus Abfall gebaut. So fand mich Mistress Atwood dann eines Tages.« Er musste lachen. »Dafür scheint sie Talent zu haben. Dich hat sie ja auch gefunden. Sie wusste sofort, wer ich bin. Sie wusste, was ich bin. Mistress Atwood, musst du wissen, ist auch eine Trickster. Sie nahm mich mit sich nach Myrtle’s Mill, weil sie ein wirklich gutes Herz hat.« Jake wurde ruhiger, als er bei diesem Teil seiner Geschichte angelangt war. »Du kannst ihr vertrauen, was immer sie auch tun mag.«
»Sie ist sich sicher, dass meine Eltern Trickster waren.«
Jake nickte. »Lange Zeit hieß es, dass Trickster keine Kinder zeugen können. Ein Irrglaube. Dennoch gibt es wenige wie dich.«
»Du glaubst es also auch?«
»Dass du ein Tricksterkind bist? Ja, das bist du.«
»Aber wenn meine Eltern beide Trickster waren, dann bedeutet das doch, dass sie etwas Besonderes tun konnten.«
»Ja, auf deine Eltern traf das sicherlich zu.«
»Aber ich habe keine besonderen Fähigkeiten.«
»Du verstehst, was die Pflanzen dir sagen.«
»Aber es ist anders. Es ist so … undeutlich.«
»Du musst dich erst damit zurechtfinden. Ein Trickster kann die Dinge durch das, was er tut, beeinflussen. Du kannst das nicht. Keine Ahnung, warum das so ist. Du kannst mit den Pflanzen reden, ja, irgendwie kannst du das. Aber du kannst sie zu nichts zwingen.« Er sah ihr in die Augen, und sie schlug den Blick nieder. »Mistress Atwood hat sofort erkannt, dass du ein Tricksterkind bist, als du ihr von der Hecke berichtet hast. Sie wusste, dass es keine Zufälle gibt. Du warst hilflos und hast die Dornenhecke gebeten, dir zu helfen.«
»Nein, das habe ich nicht. Ich wusste nicht einmal, dass ich das kann. Ich war nur durcheinander.«
Jake schüttelte den Kopf. »Die Pflanzen können deine Gefühle ebenso lesen, wie du ihre lesen kannst. Die Dornenhecke am Washington Square hat dir aus freien Stücken geholfen. Denk doch an die Pflanze des Obdachlosen, die du vorhin geheilt hast.«
Ja, dachte Scarlet. Irgendetwas hatte sie mit dieser Pflanze gemacht. Aber sie wusste nicht genau, wie sie es gemacht hatte. Es war ihr einfach so passiert. Da war eine Verbindung gewesen.
»Glaubst du, dass die Wendigo deswegen hinter mir her sind?«
»Weil du ein Tricksterkind bist?«
»Ja.«
»Ich weiß nicht.«
»Wenn es doch nur wenige Tricksterkinder gibt«, dachte sie laut nach, »dann kommt uns vielleicht eine ganz besondere Aufgabe zu. Ja, vielleicht sind sie auf der Jagd nach den Tricksterkindern.«
»Glaub ich nicht.«
»Wieso?«
»Klingt zu sehr nach Hollywood«, war seine Antwort.
Scarlet schwieg.
»Letzten Endes wissen wir nicht, warum sie hinter dir her sind.« Jake brachte es auf den Punkt. »Du hast mit deinem Freund herumgeschnüffelt. Ihr beide habt nach etwas ganz Bestimmtem gesucht. Und vermutlich habt ihr etwas gefunden, was nicht für eure Augen bestimmt war.« Er machte eine Pause, um nachzudenken. »Am Ende bleibt es dabei, dass wir nichts wissen.« Dann, mit einem Mal, erhellte sich seine Miene zu einem breiten Lächeln. »Aber das«, sagte er, nunmehr beschwingter, »könnte sich schnell ändern.«
Scarlet folgte seinem Blick.
Ein großer Mann betrat gerade die Taverne.
Er trug eine Harpune und sah wild und gefährlich aus. Er kam auf den Tisch zu, war riesig und Furcht einflößend. Wortlos ließ er sich auf dem freien Stuhl nieder. Mit einer sanften Stimme, die gar nicht zu ihm zu passen schien, begann er zu reden.
Das war der Auftakt des Gesprächs, in dem Scarlet zum ersten Mal von den Dreamings und den verschwundenen Kindern hörte.
KAPITEL 10
MYSTERIÖSE GESCHICHTEN VON ÜBERALLHER
Der Fremde war kahlköpfig, sah man von dem langen Zopf ab,
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