Die Urth der Neuen Sonne
diejenige der Samru war.
Der Anblick der Kanone und der Besatzung machte den Offizier offenbar selbstbewußter. Ich mußte stehenbleiben und mich der Menge zukehren und sollte auf meine Anhänger deuten. Daß ich keine hätte, war meine Antwort, und daß mir von den Leuten vor mir niemand bekannt sei. Daraufhin schlug er mich mit der Pistole nieder. Als ich wieder stand, sah ich in allernächster Nähe – ich hätte nach ihr greifen können – Burgundofara. Der Offizier wiederholte seine Forderung, und Burgundofara verschwand in der Dunkelheit.
Vielleicht schlug er mich abermals nieder, als ich mich abermals weigerte, doch daran erinnere ich mich nicht; ich schwebte über dem Horizont und lenkte meine Vitalität vergebens auf die zerschundene Gestalt, die so weit weg am Boden lag. Das Nichts machte meinen Versuch hinfällig, und so lenkte ich statt dessen die Energien der Urth auf den Geschundenen. Die Knochenbrüche richteten sich ein, die Wunden heilten. Allerdings bemerkte ich mit Bestürzung, daß das Visier der Pistole die gleiche Wange geschlitzt hatte wie einst Agias eherne Kralle. Mir war, als wäre die alte Wunde nie ganz verheilt.
Es war noch Nacht. Ich lag auf glattem Holz, das ruckte und hüpfte, als wäre es dem geschmeidigsten aller Streitrosse im Galopp auf den Rücken geschnallt. Ich setzte mich auf und sah, daß ich mich an Bord eines Schiffes befand und daß ich in einer Lache aus Blut und Erbrochenem gelegen hatte. Mein Knöchel war an eine Krempe gekettet. Ein Füsilier stand, die Hand auf einen Pfosten gestützt, nahebei und versuchte, sich auf den schwankenden Planken zu halten. Ich bat ihn um Wasser. Als ich mit Vodalus durch den Dschungel ging, hatte ich gelernt, daß es, wenn man Gefangener ist, nicht schadet, um einen Gefallen zu bitten. Wird er auch selten gewährt, so kostet fragen schließlich nichts.
Dieses Prinzip bestätigte sich, als mein Bewacher (zu meiner Überraschung) zum Heck taumelte und mit einem Eimer Flußwasser wiederkam. Ich stand auf und reinigte mich und meine Kleidung vom Gröbsten. Dann sah ich mich neugierig um, denn die Gegend war mir neu.
Nach dem Unwetter war klarer Himmel, und die Sterne glitzerten im Gyoll, als wäre, wie eine Fackel Funken versprühend, die Neue Sonne übers Firmament gezogen. Luna lugte fahl hinter Türmen und Kuppeln hervor, die sich als Schattenriß auf dem Westufer abzeichneten.
Ohne Segel oder Riemen schnellten wir wie ein Hüpfstein den Strom hinab. Feluken und Karavellen schienen unter voller Besegelung in der Strommitte zu ankern; zwischen ihnen flitzten wir hindurch wie Schwalben zwischen wuchtigen Zinnen. Achtern schoß in zwei Fontänen glitzernde Gischt auf, hoch wie der kahle Mast: silbrige Mauern, die, kaum errichtet, einstürzten.
Nicht weit weg hörte ich kehliges Lallen, das nach Sprache klang, als wollte ein leidendes Tier bald sprechen, bald flüstern. Nicht weit von mir lag ein zweiter Mann, über den sich ein dritter beugte. Die Kette ließ mich nicht näher herankommen; ich kniete hin, um die Fessel um das Schienbein zu verlängern, und konnte sie dadurch besser sehen, soweit in der Dunkelheit etwas zu erkennen war.
Es handelte sich um zwei Füsiliere. Der eine lag auf dem Rücken und rührte sich nicht, aber seine Haltung war gekrümmt wie von Schmerz und sein Gesicht zur Fratze verzerrt. Als er mich bemerkte, versuchte er abermals zu sprechen, während der andere sagte: »Ist ja gut, Eskil. Ist jetzt einerlei.«
Ich sagte: »Hat sich das Genick gebrochen, dein Freund.«
Er entgegnete: »Mußt es ja wissen.«
»Ich hab’s ihm also gebrochen. Dachte ich mir.«
Eskil stieß kehlige Laute aus, und sein Freund beugte sich über ihn, um besser zu hören. »Er will, daß ich ihn töte«, erklärte er mir, während er sich wieder aufrichtete. »Bettelt schon seit einer Wache darum – seit dem Ablegen.«
»Und wirst du’s tun?«
»Weiß nicht.« Die Flinte trug er vor der Brust; während er sprach, legte er sie aufs Deck, wo er sie mit einer Hand festhielt. Ich sah Licht schimmern am geölten Lauf.
»Was du auch tust, er stirbt sowieso bald. Es ist erträglicher für dich, wenn du ihn einen natürlichen Tod sterben läßt.«
Ich hätte vielleicht noch mehr dazu gesagt, aber Eskil bewegte die linke Hand, woraufhin ich gespannt verstummte. Wie eine verkrüppelte Spinne krabbelten die Finger zur Flinte, umfaßten sie dann und zogen sie heran. Der Kamerad hätte sie ihm leicht entreißen können, aber war ebenso
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