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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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blumenübersäten Wiese, die duftete und ungemein weich war. Der azurne Himmel war mit fliegendem Gewölk gesprenkelt, das die Sonne verdeckte und ein goldblaues Gitter übers Firmament warf. Fern, ganz fern war eben noch das Brausen des Windes vernehmbar, der über den Mount Typhon fegte. Einmal zuckte ein Licht auf – vielmehr der Schatten eines Lichtes, wenn so etwas vorstellbar wäre –, als hätte ein Blitz in den Fels geschlagen oder einer der Prätorianer wieder geschossen.
    Nachdem ich zwei Schritte mehr getan hatte, war all dies nicht mehr wahrnehmbar. Allerdings war es, wie mir schien, nicht verschwunden; vielmehr hatte ich die Fähigkeit (vielleicht nur die Bereitschaft) eingebüßt, es wahrzunehmen, wie wir, wenn wir erwachsen sind, nicht mehr sehen, was uns als Kinder interessiert hat. Sicherlich, so überlegte ich, handelt es sich hier nicht um die Korridore der Zeit, von denen der grüne Mann gesprochen hat. Hier sind keine Korridore, nur Hügel und wogendes Gras und ein lauer Wind.
    Als ich weiterging, kam mir alles, was ich sah, vertraut vor, als wäre ich hier schon einmal gewesen, obwohl ich mich nicht an die Stelle erinnern konnte. Unsre Nekropolis mit ihren Mausoleen und Zypressen war’s nicht. Die ungezäunten Felder und Fluren, durch die ich einst mit Dorcas gewandert und in denen ich auf Dr. Talos’ Bühne gestoßen war – jene Felder hatten sich unter die Mauer von Nessus geduckt, und Mauern gab es hier keine. Es waren nicht die Gärten des Hauses Absolut voller Rhododendren, Grotten und Springbrunnen. Am ähnlichsten, wie ich fand, war es den Pampas im Frühjahr, von der Himmelsfarbe abgesehen.
    Dann hörte ich Wasser rauschen und sah im nächsten Moment einen Bach glitzern. Ich rannte zu ihm, wobei ich mich daran erinnerte, daß ich einst ein lahmes Bein gehabt hatte und wie ich einst aus einem gewissen Wasserlauf in Orithyia getrunken und dann die Trittspuren eines Smilodons gesehen hatte. Ich lächelte beim Trinken: jetzt würden sie mir keine Angst machen.
    Als ich den Kopf hob, war es kein Smilodon, den ich sah, sondern eine winzige Dame mit bunten Flügeln, die ein kurzes Stück weiter oben am Bach auf überspülten Steinen watete; als wollte sie sich die Füßchen kühlen. »Tzadkiel!« rief ich. Dann verstummte ich verwirrt, denn nun hatte ich die Stelle wiedererkannt.
    Sie winkte lächelnd und sprang dann zu meiner großen Verwunderung aus dem Wasser und flog. Die prächtigen Flügel waren gerippt wie gefärbte Faille.
    Ich kniete nieder.
    Noch immer lächelnd landete sie neben mir auf dem Ufer. »Ich glaube, fliegen hast du mich noch nicht gesehen.«
    »Einmal sah ich dich als Vision mit weit ausgebreiteten Schwingen in der Leere zwischen den Sternen schweben.«
    »Ja, dort kann ich fliegen, weil es keine Anziehungskräfte gibt. Hier muß ich ganz winzig werden. Weißt du, was ein Schwerkraftfeld ist?«
    Auf die Wiese deutend, winkte sie mit dem Arm, der nicht länger als meine Hand war, woraufhin ich sagte: »Ich sehe eins vor mir, mächtiger Hierogrammat.«
    Sie lachte darauf, ein Geklingel wie von Glöckchen. »Aber wie’s scheint, kennen wir uns?«
    »Mächtiger Hierogrammat, ich bin der geringste deiner Sklaven.«
    »Ist sicher unbequem auf den Knien, und hast ein anderes Ich von mir gesehen seit meinem Weggang von hier. Setz dich und erzähl mir davon.«
    Das tat ich denn auch. Es war herrlich, dort zu sitzen am Ufer und sich hie und da an dem klaren kühlen Naß zu erquicken, wenn die Zunge trocken wurde vom Reden, und Tzadkiel zu erzählen, wie ich sie zuerst zwischen den Seiten von Vater Inires Buch gesehen und wie ich geholfen hatte, sie an Bord ihres eigenen Schiffes zu fangen, wo sie männlich war und sich Zak nannte, und wie sie mich, als ich verletzt war, gepflegt hatte. Aber von alledem weißt du, mein Leser (falls es dich tatsächlich gibt), habe ich doch hier davon geschrieben und nichts oder zumindest sehr wenig ausgelassen.
    Als ich Tzadkiel beim Bach meine Geschichte erzählte, war ich darauf bedacht, mich so kurz wie möglich zu fassen; dieses duldete sie indes nicht, indem sie mich hie und da ablenkte, bis ich ihr vom kleinen Engel (über den ich im braunen Buch las) berichtet hatte, der Gabriel begegnete, und von meinen Kindheiten in der Zitadelle, in der väterlichen Villa und im Dorf namens Famulorum nahe dem Haus Absolut.
    Als ich schließlich zum vielleicht tausendsten Mal absetzte, um Luft zu holen, sagte Tzadkiel: »Kein Wunder, daß ich dich

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