Die Urth der Neuen Sonne
behelmte Barbaren, die halb Mensch, halb Tier waren.
Ich schloß die Tür wieder, wobei ich überlegte, ob sie andere fernoder mich gefangenhalten sollten. Und ich verschwendete ein paar Minuten mehr darauf, daß ich nach einem Schalter für das Licht suchte. Allerdings war ich so erschöpft, daß ich nicht lange suchte. Die Kleider auf den Boden werfend, streckte ich mich auf dem breiten Bett aus. Während ich geistig wegtrat in jenen nebulösen Zustand, den wir Traum nennen, wurde das Licht gedämpft und ganz gelöscht.
Ich glaubte, Schritte zu hören, und wollte mich aufsetzen, worum ich scheinbar lange kämpfte. Der Schlaf drückte mich auf die Matratze, und ich war machtlos dagegen wie gegen eine Droge. Schließlich setzte sich die Schreitende neben mich und strich mir das Haar aus der Stirn. Ihren Duft atmend, zog ich sie an mich.
Locken fielen mir übers Gesicht, als unsre Lippen zum Kuß verschmolzen.
Als ich erwachte, wußte ich, daß ich mit Thecla zusammengewesen war. Obwohl sie nichts gesagt und ich ihr Gesicht nicht gesehen hatte, bestand für mich kein Zweifel daran. Verrückt, sonderbar, wundersam, nannte ich es; dennoch bestand kein Zweifel. Niemand hätte mir weder in diesem noch in einem andern Universum eine so ausgedehnte, tiefe Intimität vorgaukeln können. Aber es war nicht, ganz und gar nicht unmöglich. Tzadkiels Kinder, die Ausgeburten, die sie auf ihrer Welt in Yesod hervorbrachte, hatten auch Thecla wiederauferstehen lassen für den Kampf gegen die Matrosen. Demzufolge war es für Tzadkiel sicherlich nicht unmöglich, sie abermals in Erscheinung treten zu lassen.
Ich sprang auf und suchte nach Spuren – einem Haar vielleicht oder einer zerdrückten Blüte auf dem Kissen. Ein solches Andenken hätte ich (wie ich mir sagte) stets als Kleinod gehütet. Das ungewohnte Fell, mit dem ich mich zugedeckt hatte, war faltenlos. Kein Abdruck eines zweiten Leibes neben dem meinen.
An irgendeiner Stelle in diesen Schriften, die ich mit großem Eifer im Lichtgaden des Hauses Absolut verfaßt habe und mit noch mehr Eifer zu einem unbekannten Zeitpunkt in der Zukunft an Bord dieses Schiffes verfaßt haben werde, die meine Vergangenheit geworden ist, habe ich geäußert, daß ich mich selten einsam fühlte, gleichwohl der Leser einen solchen Eindruck wird gewonnen haben. Um dir gerecht zu werden, sollte diese Schrift je einem Leser in die Hände fallen, darf ich feststellen, daß ich mich in jenem Moment durchaus einsam fühlte, einsam und verlassen wußte, obwohl mein Name, wie mein Vorgänger seinem Hofstaat eingebleut hat, Legion war.
Ich war jener Vorgänger, und allein, und dessen Vorgänger; und jeweils so einsam, wie es jeder Herrschende sein muß, bis bessre Zeiten – oder vielmehr bessre Menschen – kommen auf Urth. Ich war auch Thecla; Thecla mit den Erinnerungen an die Mutter und Halbschwester, die sie nicht mehr wiedersehen sollte, und an den jungen Folterer, der für sie weinte, als sie keine Tränen mehr übrig hatte. Vor allem aber war ich Severian und entsetzlich einsam, wie der letzte Mann auf einem abgetriebenen Schiff sich einsam fühlt, wenn er von Freundschaft träumt und beim Erwachen allein wie immer ist und vielleicht an Deck geht, um die bewohnten Sterne zu betrachten und die zerfetzten Segel, die ihn zu keinem solchen Stern mehr tragen könnten.
Diese Furcht packte mich, während ich sie noch mit einem Lachen abtun wollte. Ich war allein in der großen Suite, die Tzadkiel mein Staatsgemach genannt hatte. Ich konnte niemanden hören; und es war denkbar, wie alles Wahnhafte, das wir träumen, im Augenblick des Erwachens denkbar scheint, daß niemand da sei, den ich hören könnte, daß Tzadkiel aus eigenen unerfindlichen Gründen das Schiff geleert hatte, während ich schlief.
Ich badete und kratzte im eigenartig glatten Gesicht, das mich aus dem Spiegel anstarrte, während ich ständig nach einer Stimme oder Tritten lauschte. Meine Kleider waren zerrissen und dermaßen schmutzig, daß ich sie ungern wieder anlegen wollte. Die Schränke waren voller Gewänder in allerlei Farben und Formen; insbesondere von der Art, wie ich fand, die ohne Aufwand für weibliche und männliche Träger aller Größen passend gemacht werden konnte; und nur aus feinstem Tuche. Ich wählte weite dunkle Hosen, deren Bund eine rostbraune Schärpe hielt, einen Rock mit offenem Kragen und großen Taschen und einen mit buntem Brokat verbrämten Mantel im echten Fuligin der Zunft, deren Meister ich
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