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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Augen. Ich hörte Burgundofara Luft holen.
    »Er hieß Apu-Punchau. Und da war noch jemand, ein gewisser Hildegrin; und dieser Hildegrin wollte Apu-Punchau davon abhalten, in sein Grab zurückzukehren.«
    Burgundofara flüsterte: »Ein Geist?«
    »Nicht unbedingt, zumindest glaube ich’s nicht. Vielleicht kommt es auch nur darauf an, was du unter einem Geist verstehst. Er war wohl jemand, der so tief in der Zeit verwurzelt war, daß er nicht völlig tot sein konnte in unsrer Zeit, in keiner Zeit vielleicht. Doch wie dem auch sei, ich wollte Hildegrin helfen, weil er einer diente, die versuchte, einen meiner Freunde gesund zu machen …« In meinen Gedanken, die noch ganz durcheinander waren von der tödlichen Atmosphäre des Laufstegs, setzte sich der Begriff ›Freundschaft‹ fest. Hatte mich mit Jolenta wirklich Freundschaft verbunden? Wäre Freundschaft vielleicht entstanden, wenn sie durchgekommen wäre?
    »Weiter«, drang Burgundofara in mich.
    »Ich lief zu ihnen – zu Apu-Punchau und Hildegrin. Dann gab es eine Art Explosion, die eigentlich keine Explosion war, sondern eher wie ein Blitzschlag, ich kann’s nicht anders beschreiben. Apu-Punchau war weg, dafür waren zwei Hildegrins da.«
    »Wie wir.«
    »Nein, der gleiche Hildegrin doppelt. Der eine rang mit einem unsichtbaren Geist und der andere mit mir. Dann schlug der Blitz ein oder was immer. Aber zuvor, bevor ich die zwei Hildegrins überhaupt sah, hatte ich Apu-Punchaus Gesicht gesehn, und es war das meine. Älter, aber meines.«
    Gunnie sagte: »Das mit dem Ausruhen ist nicht verkehrt. Du mußt uns alles erzählen.«
    »Heute früh – Tzadkiel gab mir eine sehr schöne Kabine. Bevor ich ging, wusch und rasierte ich mich mit einem bereitliegenden Messer. Das Gesicht, das ich im Spiegel sah, bekümmerte mich, aber jetzt weiß ich, wessen Gesicht es war.«
    Burgundofara sagte: »Apu-Punchaus?« Und Gunnie: »Deines?«
    »Da ist noch etwas, das ich nicht gesagt habe. Hildegrin wurde von dem Blitz erschlagen. Ich glaubte später, das zu verstehen, glaube es noch. Es gab mich zwei Mal, und weil es mich zwei Mal gab, gab es auch Hildegrin doppelt. Aber die Hildegrins sind durch Teilung entstanden, und ein Mensch kann sich nicht einfach teilen und weiterleben. Oder aber er konnte sich, war er erst einmal geteilt, nicht mehr wiedervereinen, sobald es nur mehr einen Severian gab.«
    Burgundofara nickte. »Gunnie sagte mir deinen Namen. Ein schöner Name, wie für ein Schwert.« Gunnie bedeutete ihr zu schweigen.
    »Da bin ich also mit zweien von euch. Von mir ist doch nur einer da, soviel ich weiß. Oder seht ihr gar zwei?«
    Burgundofara sagte: »Nein. Aber selbst wenn es so wäre, würde das keine Rolle spielen, nicht wahr? Wenn du noch nicht Apu-Punchau gewesen bist, kannst du nicht sterben!«
    Ich entgegnete: »Selbst ich kenne mich besser aus mit der Zeit. Ich war der künftige Apu-Punchau jener Zeit, die jetzt eine Dekade zurückliegt. Die Gegenwart kann die Zukunft immer verändern.«
    Gunnie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich kenne mich besser aus mit der Zeit als du, selbst wenn du die Neue Sonne bringen und die Welt verändern wirst. Dieser Hildegrin ist nicht gestorben vor zehn Jahren, nicht für uns hier. Wenn du wieder auf der Urth bist, wirst du vielleicht feststellen, daß es vor tausend Jahren gewesen ist oder was weiß ich wie viele Jahre in der Zukunft sein wird. Hier ist es weder das eine noch das andere. Wir sind zwischen den Sonnen und auch zwischen den Jahren, also kann es, ohne daß jemand gefährdet wäre, zwei Gunnies geben. Oder ein Dutzend.«
    Sie hielt inne. Gunnie sprach immer langsam, aber nun krochen ihr die Silben zäh über die Lippen, wie Überlebende aus einem Wrack kriechen. »Ja, ich kann zwei Severians sehen, wenn auch nur in meiner Erinnerung. Einer ist der Severian, den ich einmal gepackt und geküßt habe. Er ist fort, aber er ist ein schöner Mann gewesen trotz seines narbigen Gesichts und lahmen Beins und ergrauten Haars.«
    »Er hat deinen Kuß nicht vergessen«, sagte ich. »Er hat viele Frauen geküßt, aber ist nicht oft selber geküßt worden.«
    »Und der andere ist der Severian, der mich geliebt hat, als ich jung und frisch eingeschifft war. Seinetwegen küßte ich dich später und kämpfte dann für dich als einziger Mensch, der an deiner Seite gegen die Phantome kämpfte. Seinetwegen erdolchte ich meine alten Kameraden, obwohl ich wußte, daß du mich vergessen hattest.« Sie erhob sich. »Ihr wißt

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