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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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durch den Kopf, daß Burgundofara ihn gerufen hatte, indem sie von ihm sprach.
    Als er mich nun am Fenster sah, stieß er abermals in seine Muschel, deutete auf mich und rief, nachdem alle Blicke mir galten: »Laß diesen Mann von den Toten auferstehn, Geselle! Wenn du es nicht vermagst, werde ich’s tun. Der mächtige Ceryx läßt die Toten wieder auf Urth wandeln!« Der Leichnam, auf den er zeigte, lag wunderlich gekrümmt wie eine umgekippte Statue in Totenstarre.
    Ich rief: »Du hältst mich für deinen Mitbewerber, mächtiger Ceryx, aber ich hege derlei Ehrgeiz nicht. Es führt uns lediglich unser Weg durch Os auf unsrer Fahrt zum Meer. Wir brechen morgen früh auf.« Ich zog die Läden zu und verriegelte sie.
    »Er ist’s gewesen«, stellte Burgundofara fest. Sie hatte sich entkleidet und hockte neben der Waschschüssel.
    »Ja«, sagte ich.
    Ich erwartete neuerlichen Tadel, aber sie meinte lediglich: »Wir sind ihn los, sobald wir ablegen. Begehrst du mich heut nacht?«
    »Später vielleicht. Ich will nachdenken.« Ich trocknete mich und legte mich ins gemeinsame Bett.
    »Dann wirst du mich eben wecken müssen«, sagte sie. »Der viele Wein macht schläfrig.« Die Stimme von Ceryx drang, zu gespenstischem Singsang verzerrt, durch die Läden.
    »Ja«, meinte ich, als sie zu mir unter die Decke schlüpfte.
    Der Schlaf drückte mir gerade die Augen zu, als der Tote mit der Axt die Tür aufschlug und ins Zimmer stapfte.
     

 
Zama
     
    Ich wußte zunächst nicht, daß es der Tote war. Im Zimmer war es dunkel, und fast ebenso dunkel war es draußen im vollgestopften engen Flur. Ich lag im Halbschlaf; beim ersten Axthieb riß ich die Augen auf, nur um den Stahl blitzen zu sehen, als die Schneide sich beim zweiten Hieb durchs Holz brach.
    Burgundofara kreischte, und ich rollte mich aus dem Bett und tastete nach Waffen, die ich nicht mehr besaß. Beim dritten Hieb barst die Tür. Der Tote zeichnete sich einen Moment lang schemenhaft in der Tür ab. Seine Axt fuhr aufs leere Bett nieder. Das Gestell brach entzwei, und die ganze Bettstatt krachte zusammen.
    Mir war, als wäre der arme Freiwillige wiedergekehrt, den ich vor so langer Zeit in unsrer Nekropolis getötet hatte: Ich erstarrte vor Schreck ob meines schlechten Gewissens. Luft schneidend wie Hildegrins Spaten, der meinen Kopf verfehlt hatte, fuhr die Axt des Toten mit Getöse, das wie der Fußtritt eines Riesen polterte, in die verputzte Mauer. Der schwache Lichtschein aus der Tür wurde momentan gedämpft, als Burgundofara sich flüchtete.
    Wieder fuhr die Axt in die Wand, wieder keine Elle von meinem Ohr entfernt. Der Arm des Toten, der kalt wie eine Schlange war und nach Verwesung roch, streifte den meinen. Ich rang mit ihm, nicht von Einsicht, sondern bloßem Instinkt gelenkt.
    Kerzen erschienen und eine Laterne. Zwei Halbnackte entwanden dem Toten die Axt, während Burgundofara ihm das Messer an die Kehle setzte. Hadelin stand neben ihr mit einem Säbel in der einen und einem Kerzenstummel in der andern Hand. Der Wirt leuchtete dem Toten ins Gesicht und ließ die Laterne fallen.
    »Er ist tot«, stellte ich fest. »Sicherlich habt ihr solche Toten schon einmal gesehen. Auch wir werden eines Tages so sein.« Ich stieß dem Toten mit einem Tritt die Füße weg, wie Meister Gurloes uns einst gelehrt hatte, und er fiel neben der erloschenen Laterne zu Boden.
    Burgundofara sperrte den Mund auf. »Hab ihn erstochen, Severian. Er – nicht mal …« Sie preßte die Lippen aufeinander, um das Weinen zu unterbinden. Die Hand mit dem blutigen Messer darin zitterte.
    Als ich den Arm um sie legte, rief jemand: »Vorsicht!«
    Der Tote kämpfte sich wieder auf die Füße. Die Augen, die geschlossen waren, als er am Boden lag, öffneten sich, obwohl sie immer noch den Starrblick einer Leiche hatten; ein Lid hing schlaff herab. Dunkles Blut quoll aus einer schmalen Wunde in der Seite.
    Hadelin sprang vor und holte mit dem Säbel aus.
    »Wart!« rief ich und hielt ihn zurück.
    Der Tote griff nach meinem Hals. Ich umfaßte seine Hände, denn ich fürchtete und ekelte mich nicht mehr vor ihm. Vielmehr dauerte er mich unsäglich, wie wir alle mich dauerten, wußte ich doch, daß wir alle in einem bestimmten Grad tot waren, halb schliefen, wie er tief schlief, und taub waren für den Gesang des Lebens in uns und um uns herum.
    Er ließ die Arme sinken. Ich strich mit der Rechten über seinen Brustkorb, und Leben floß hinein, so daß jeder Finger scheinbar aufbrach und wie

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