Die Vagabundin
ausgemacht, dass wir jeden Regenbogen als Gruß vom andern sehen und uns dann vorstellen, dort oben beinanderzusitzen und auf die Welt zu schauen. Und letzte Woche, wisst Ihr noch?,als sich dieser wunderschöne Regenbogen über die Hügel hinterm Gutshof zog, da war ich dann ganz nah bei Niklas. Es gibt sie bloß viel zu selten, diese Regenbögen.»
Kopfschüttelnd betrachtete Moritz sie.
«Noch nie zuvor bin ich einer Frau wie dir begegnet.»
«Ist das nun geschmeichelt oder geschmäht?»
«Weder das eine noch das andre.» Verstohlen strich er über ihre Hand, dann schenkte er ihr und sich selbst von dem Wein nach. «Ich bewundre deinen Mut, Eva, aber ich darf mir gar nicht vorstellen, was dir alles hätt zustoßen können auf deinen Wanderungen. Ein klein bisserl narrisch bist du wirklich, das musst du zugeben.»
Eva verzog trotzig den Mund. «Narrisch ist das doch nur in den Augen von euch Mannsbildern. Schließlich habt ihr gut reden: Ihr könnt von Alpha nach Beta wandern, grad wie es euch zupasskommt. Als Bürger könnt ihr das Schneiderhandwerk lernen oder Goldschmied oder Tuchmacher oder was weiß ich. Aber gottgewollt ist das alles keineswegs, sonst würde Gott auch bei den Welschen keine Frauenzünfte dulden.»
Sie holte Luft. Wieder griff Moritz nach ihrer Hand, doch sie entwand sie ihm.
«Ich will Euch noch was sagen. Ich bin nämlich nicht das einzige Weib, das so narrisch ist. Immer wieder hab ich von Frauen gehört, die sich als Mann verkleidet haben, und zweioder dreimal bin ich in letzter Zeit Kerlen begegnet, da war ich mir ganz sicher, dass es keine waren. Auch wenn Ihr mir das jetzt nicht glaubt.»
«Doch, ich glaub dir. Ich weiß sogar, dass es zu anderen Zeiten und in anderen Weltgegenden immer schon Frauen gab, die den Männern in nichts nachstanden. Sogar Fürstinnen und Königinnen, die ihr Land vorbildlich regierten. Hast du jemals von den geschworenen Jungfern vom Balkan gehört?»
«Nein.» Warm und wie eine weiche Höhle legten sich Moritz’ Hände über ihre, und diesmal zog Eva sie nicht zurück.
«Dort im Balkangebirge leben Bergvölker mit kriegerischer Kultur, mit blutigen Fehden zwischen den Sippen. Wie überall untersteht die Frau dort erst dem Vater, dann dem Ehemann. Aber es steht ihr frei, einen Schwur abzulegen, das Gelübde, auf ewig Jungfrau und unverheiratet zu bleiben. Als geschworene Jungfrau dann hat sie das Recht, Mannskleider anzulegen und sogar Waffen zu tragen. Und sie kann den Platz eines verstorbenen Vaters oder Bruders als Familienoberhaupt einnehmen.»
«Ist das wahr?»
«Wenn ich’s doch sage.»
Sie hatte das Gefühl, in Moritz’ Blick zu versinken wie in einem dunklen Waldweiher. Heilige Elisabeth, wohin würde das alles noch führen? Sie entzog ihm ihre Hände und versteckte sie in den Falten ihres Rocks. Dann räusperte sie sich.
«Wisst Ihr, was ich mich oft frage? Warum eigentlich macht man uns Frauen das Leben so schwer? Arbeiten sollen wir genauso wie die Männer, uns plagen mit Wasserschleppen und Holzschleppen, wir sollen Wäsche und Töpfe schrubben, die Felder pflügen, das Vieh melken. Und zwischendurch mal eben Kinder gebären und großziehen – aber immer dürfen wir nur das tun, was uns von den Männern bestimmt wird. Warum soll eine Frau nicht Meister werden können, warum nicht zur See fahren, warum nicht in den Krieg ziehen? Doch nicht etwa, weil sie es nicht vermag! Denn all die Frauen, die sich als Männer verkleiden, beweisen ja grad das Gegenteil. Genau wie Eure geschworenen Jungfrauen.»
«Schon – aber manches ist einfach wider die Natur. So wie ein Mann ja auch keine Kinder gebären kann.»
«Mag sein. Aber ist es etwa wider die Natur, dass die Frau zwar schneidern und nähen darf, aber nur die Weißwäsche, keinesfallsHosen und Gewänder? Das ist schlichtweg so festgelegt, und zwar nicht von Gott, sondern von den Zünften!»
In gespielter Verzweiflung verdrehte Moritz die Augen.
«Was bist du nur für eine Rebellin!»
Er stand auf und ging hinüber zum Kamin, um neues Holz auf die Glut zu legen. Nachdem es Feuer gefangen hatte, drehte er sich zu Eva um.
«Warum bist du mir in den See gefolgt und hast nach mir gerufen? Hattest du dir Sorgen gemacht?»
Sie antwortete nicht. Stattdessen erhob auch sie sich und trat zu der Reisetruhe, auf der sie ihre Kleider abgelegt hatte. Sie würde jetzt diese Kleider nehmen und von hier verschwinden. Und zwar augenblicklich. Ein leichter Schwindel erfasste sie. Das musste von
Weitere Kostenlose Bücher