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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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dir längst eine Grafentochter geangelt!»
    Moritz lachte. «Ich hätte schon viele haben können. Seitdem ich denken kann, werden mir irgendwelche affigen Jungfern vorgeführt, von hohem Stand, aus bestem Hause. Ich wollte sie alle nicht, und jetzt endlich weiß ich, warum: Weil das Schicksal dich vorgesehen hat für mich! Willst du also?»
    Sie schmiegte sich in seine Armbeuge. Dies alles klang nach einer dieser wundersamen Geschichten, die sie Niklas immer so gern erzählt hatte. Die so vollkommen waren, dass ihr selbst manchmal die Tränen kamen – Tränen deshalb, weil sie genau wusste, dass die Welt für solche Wunder nicht geschaffen war. Andererseits: Warum sollte sie sich nicht, nach einem solch herrlichen Tag, diesem Traum hingeben dürfen?
    Und so küsste sie ihn und sagte mit fester Stimme: «Ja.»

30
    Drei Tage und drei Nächte verbrachten Moritz und Eva miteinander, schliefen vor dem Kaminfeuer, liebten und umarmten sich, erzählten sich gegenseitig aus ihrem Leben. Ab und an verließen sie ihr Lager, um zu essen und Hund und Pferd zu füttern oder um mit den Tieren durch den Wald zu streifen und sich die Beine zu vertreten.
    Moritz wollte alles über sie erfahren, und so kostete es sie immer wieder große Überwindung und so manche Träne, ihm von den elenden Tagen ihrer Kindheit oder vom Schicksal ihrer Schwester zu berichten. Ihm gegenüber beschönigte sie nichts, gab auch ihre Schuldgefühle preis, die sie noch immer gegenüber Josefina und auch wegen des schrecklichen Todes des kleinen Jungen und des Mädchens in der Bauernkate empfand.
    Nur eines verschwieg sie: was ihr Vater ihr angetan hatte und wie sie drauf und dran gewesen war, ihn dafür zu töten. Diese Geschehnisse hatte sie wie in einer eisernen Kammer in ihrem Inneren verschlossen und wollte nie wieder daran rühren.
    Dafür ließ sie ihrerseits nicht locker, bis Moritz ihr nach langem Zögern endlich berichtete, woher seine Narben kamen. Das war nach der ersten gemeinsamen Nacht gewesen: Sie waren eben von den Strahlen der Morgensonne erwacht, die durch das geöffnete Fenster geradewegs auf ihr Liebeslager schien und die Narbe auf Moritz’ Rücken zum Schimmern brachte.
    Es war so, wie Eva es vermutet hatte: Roderich von Ährenfels hatte ihn als Kind brutal geschlagen.
    «Mein Vater wollte uns Söhne immer zur Härte erziehen. Bei Hilprand, meinem ältesten Bruder, ist es ihm auch mehr als gelungen. Seine Frau und seine Kinder zittern vor ihm. Einmal hat Hilprand seinen Ältesten einen Monat lang in den Kerker der Burg gesperrt. Er hat ihn anketten lassen und ihm nichtsals Wasser und Brot gegeben. Du kennst Hilprand nicht, zum Glück – ich glaube, ihr wärt schon am ersten Tag aneinandergeraten. Bei Kilian liegt die Sache anders, er hat sich Vaters Erwartungen angepasst. Er redet ihm nach dem Mund, ganz nach der Losung: Hauptsache, mir selbst geht es gut. Andere Menschen kümmern Kilian nicht. Er ist oberflächlich, genusssüchtig und voller Dünkel. Aber dafür ist er wenigstens nicht gewalttätig.»
    «Aber warum hat dein Vater dich so übel geschlagen, dass du Narben hast? Was war der Grund?»
    «Ein Junge aus der Küche hatte geklaut, eine einzige lächerliche Wurst! Und dafür sollte er ausgepeitscht werden, im Hof, vor aller Augen.» Moritz stockte. «Ich war damals elf, der Junge sicher noch ein gutes Jahr jünger als ich. Zwölf Peitschenhiebe sollte er bekommen: die ersten vier von Hilprand, die nächsten von Kilian, die letzten vier von mir.»
    Er sah zum Fenster und schwieg, und Eva ahnte, was kommen würde.
    «Du hast dich geweigert, ihn zu schlagen», sagte sie leise. Moritz nickte.
    «Er hing mit dem Oberkörper über den Brunnenrand, die Haut auf seinem Rücken war längst aufgeplatzt, überall war Blut, und der Junge heulte und würgte und spuckte gleichzeitig. Als mir Kilian die Peitsche in die Hand drückte, hab ich sie einfach fallen gelassen und mich umgedreht.»
    «Und dann bist du weggelaufen?»
    «Nein. Ich stand da wie gelähmt. Bis mich mein Vater gepackt und neben den Küchenjungen gezerrt hatte. ‹Dann nimm du die vier Schläge›, hatte er nur gesagt und ausgeholt. Ich werde nie den Blick des Jungen neben mir vergessen. Unentwegt hatte er mir in die Augen geschaut und bei jedem Schlag leise und unter Tränen ‹Danke!› gesagt. Der letzte Schlag war der schlimmste – von dem rührt auch die Narbe her.»
    «Und die auf deiner Wange?»
    «Ich musste mich wieder umdrehen und sollte meinem Vater geloben,

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