Die Vagabundin
von Dingen, die für dich furchtbar langweilig sein müssen.»
Sie strich ihm das lange Haar aus dem Gesicht. «Nein, überhaupt nicht. Erzähl mir mehr von deiner Familiengeschichte.»
Während der Tag draußen langsam zu Ende ging, erfuhr Eva, dass Moritz’ Ahnen vor Generationen noch unfreie Bauern waren, einfache Grundholde. Bis einer seiner Vorväter schließlich zum Meier der herzoglichen Güter hier in der Gegend ernannt wurde und damit zum Dorfführer und Fronherrn über die Bauern: Statt wie früher Abgaben und Frondienste zu leisten, forderte man nun selbst die Zinsen und Fronen ein.
«Unser Landgut war also über lange Zeit nichts andres als ein Fronhof der Wittelsbacher zu Landshut gewesen. Bis zu dem großen, blutigen Krieg um die Landshuter Erbfolge. Da hatte mein Urgroßvater dann rasch die Seiten gewechselt und wurde für seinen Treueid auf den neuen Baiernherzog, den Wittelsbacher zu München, mit dieser Hofmark belehnt und zum Freiherrn ernannt. Er war es auch, der die Burg Ährenfels erbaute.»
Damit habe, fuhr er fort, die Glanzzeit der Herren von Ährenfels begonnen, als getreue Dienstleute und Ministeriale der Baiernherzöge. Die Grundherrschaft samt Niedergericht über die hörigen Bauern wurde an die Söhne weitervererbt, bald zählten zehn Dörfer mitsamt den dazugehörigen Gütern zu ihren Besitzungen.
«Doch diese Glanzzeit währte nur allzu kurz – dank unserem Vater.» Moritz lachte bitter. «Er hat sich nie mit dem wenig vornehmen Landleben des Niederadels begnügen können, hatte immer nur Spott übrig für die engen Bande zu den Bauern, von denen man sich in Sprache und Alltagsbrauch kaum unterschied.Partout wollte er etwas von der höfischen Eleganz einer Münchner oder Landshuter Residenz hierherzaubern! Seine Kinder sollten nicht länger die Kammer mit dem Gesinde teilen, und für die geplanten Festlichkeiten musste ein Rittersaal her, die alte, gemütliche Kemenate reichte nicht mehr aus. Und so hat er vor zehn Jahren Unsummen in den Bau des neuen Herrenhauses gesteckt, hat ein wahres Schloss daraus gemacht. Und ein neues Jagdhaus musste auch noch her.»
Er schüttelte verächtlich den Kopf. «Doch hohe Gäste sind nie gekommen, anstelle von Sängern und Spielleuten werden Huren zum Zeitvertreib geladen! Dafür sind wir heut ganz bitterbös verschuldet, bei den Degenbergern drüben im Baiernwald. Die sind selber Ministeriale unsres Herzogs und verstehen es, andere Hofmarksherren als Dienstgefolgschaft einzusetzen, wo es ihnen grad beliebt. Auch wir sind ihnen mit Haut und Haar verpflichtet. Im Frühjahr zum Beispiel musste Kilian hier alles liegen und stehen lassen, nur weil es einem der jungen Degenberger, einem achtjährigen Grünschnabel, einfiel, nach Prag zu reisen, und er hierzu einen Begleiter suchte! Stell dir vor, nicht mal mehr das Schildgeld können wir heuer aus eigener Schatulle begleichen.»
«Schildgeld?» Eva bemerkte, wie seine Mundwinkel vor Empörung zitterten.
«Früher mussten die Ritter und Vasallen dem Landesherrn Heerfolge leisten, jetzt kauft man sich durch ein hohes Schildgeld frei, für das der Herzog Söldner anwirbt.»
Fast tat Moritz ihr leid. Hatte es da Niklas nicht viel, viel besser getroffen, an der Seite seines Straubinger Oheims? Eva fiel der Leitspruch ein, den Endress Wolff so gern zum Besten gegeben hatte: Das Glück ist bei den Tüchtigen. Nur: Was tat einer wie Moritz, dessen Vater das Glück seiner Vorväter und die Zukunft seiner Söhne verspielt hatte?
«Hast du schon mal dran gedacht fortzugehen?», fragte sie.
«O ja, immerzu! Am besten weit fort, weg aus Baiern, außer Reichweite meines Vaters. Dorthin, wo das Leben mehr verspricht. Zum Kaiser nach Wien vielleicht, um den Habsburgern meine Dienste anzubieten. Oder gar an den spanischen Königshof. Für mich als Drittgeborenen ist hier ohnehin kein Platz, und wenn ich nächstes Frühjahr achtzehn werde, hat mir mein Vater rein gar nichts mehr vorzuschreiben. Und dann …» Er zog sie an sich und fuhr ihr zärtlich durch das viel zu kurze Haar. «Dann werden wir heiraten. Bis dahin können wir hier im Jagdhaus wohnen, nur wir beide. Du kannst nähen und sticken und schneidern, was und wie du willst – alles, was du hierzu brauchst, will ich dir beschaffen. Und dann im Frühjahr, wenn dein schönes Haar wieder so lang ist wie damals, als ich dich das erste Mal sah, werde ich dich erneut fragen: Willst du meine Frau werden?»
«Ach, Moritz – bis zum Frühjahr hast du
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