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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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dem schweren Rotwein rühren.
    «Hattest du Angst um mich?» Seine Stimme war plötzlich dicht an ihrem Ohr. Seine Lippen berührten ihre Schläfe, sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut, seinen Arm, der sich um ihre Schultern legte und sie an seine Brust zog. Sie schloss die Augen.
    «Ja, ich hatte Angst. Große Angst!»
    Als er sie jetzt küsste, war ihr, als würde ihr ganzer Leib sich nach und nach in Wellen auflösen. Nichts in ihr hatte mehr Bestand, alles wurde weich und warm, zerfloss, verging, löste sich auf in wogende Zärtlichkeiten. Die Zeit zählte nicht mehr, die Welt zählte nicht mehr, es zählte nur noch, dass Moritz bei ihr war und sie bei ihm, ohne jede Lüge, ohne jedes Spiel, und dass sie sich endlich gefunden hatten.
    Als Eva nach vielen Stunden, wie ihr schien, wieder halbwegs zu sich kam, als sie die Welt außerhalb wieder wahrnahm, lag sie in Moritz’ Armen vor dem Kaminfeuer, auf einem Lager aus weichen Fellen. Beide waren sie nackt, wie Gott sie geschaffen hatte. Sie hatten alles miteinander erkundet und erfahren, ohnejede Scham, ohne Vorbehalte, bis auf das Letzte, bis auf die eheliche Beiwohnung. Und dafür war Eva ihm dankbar. Nichts gab es somit zu bereuen, nichts zu befürchten – ganz im Gegenteil: Noch nie hatte sie sich sicherer und geborgener gefühlt, noch nie so sehr im Reinen mit sich selbst.
    «Eva?»
    «Ja?»
    «Ich liebe dich.»
    «Ich liebe dich auch, Moritz.»
    Ihr Herz zog sich zusammen. Durfte sie so etwas überhaupt sagen? Sie, ein Weib einfacher Herkunft, der Stiefvater vom Vollbürger zum unehrlichen Büttel herabgesunken, sie selbst nicht mehr als eine Umschweiferin, eine Landstörzerin? Hinzu kam die bittere Erfahrung, die ihre eigene Schwester gemacht hatte: Durfte sie diesem Mann seinen Liebesschwur glauben? War er nicht von edlem Stand und daher von klein auf gewohnt, sich zu nehmen, was er begehrte? War es womöglich die reinste Dummheit, zu hoffen, dass sie Moritz mehr bedeutete als nur ein vorübergehendes Vergnügen? Dass er anders war als jener schändliche, aufgeblasene Bürgerssohn Lindhorn?
    Andererseits: Wenn er sie so mit leuchtenden Augen betrachtete, so voller Zärtlichkeit und so voller Behutsamkeit berührte, nichts fordernd, was sie nicht zuließ – dann konnte das nichts Falsches sein. Nur – wie lange konnte so eine Liebe währen? Konnte sie überhaupt Bestand haben in einer Welt, in der jedem Mann, jeder Frau sein Stühlchen fest zugewiesen war?
    «Was denkst du?», unterbrach er ihre Grübeleien. «Du siehst plötzlich so traurig aus. Du zitterst ja!»
    Er sprang auf und zerrte eine Wolldecke aus einer der Truhen. Dabei entdeckte sie, dass sich auch über sein linkes Schulterblatt eine Narbe zog, ganz ähnlich der auf seiner Wange. Er breitete die Decke über sie, dann schlüpfte er ebenfalls darunter.
    «Komm ganz dicht, damit ich dich wärme.»
    Mit einem kleinen Seufzer schloss Eva die Augen.
    «Wenn man uns nun hier entdeckt?», fragte sie leise.
    «Außer mir kommt kein Mensch hier heraus. Schon seit Jahren nicht mehr. Und meinem Bruder und dem Hofmeister hab ich gesagt, ich sei nach Ingolstadt geritten, kleinerer Geldgeschäfte wegen.»
    «Und wenn doch?»
    Moritz grinste.
    «Dann sag ich: Tretet ein, nur herein! Darf ich meine Braut vorstellen?»
    «Du machst dich lustig über mich.»
    «Aber nein. Es ist mir ernst mit dir. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du in meinen Armen liegst.» Er küsste ihre Stirn. «Erzähl mir mehr von deiner Familie. Von deiner Kindheit, von deinen Geschwistern.»
    «Ein andermal.»
    «Ein andermal? Heißt das, du bleibst?»
    «Ich weiß es nicht.»
    Sie öffnete die Augen.
    «Du hast eben gesagt, es sei dir ernst mit mir. Wie ernst?»
    «So ernst, dass ich dich, wenn du mich in einem Jahr immer noch liebst, zur Frau nehmen werde!»
    «Weißt du, was du da redest? Das geht gar nicht! Du kannst doch nicht einem Mädchen von niederem Stand die Ehe versprechen.»
    «Und ob! Ein Vetter meines Vaters hat im letzten Jahr eine Wirtstochter geheiratet. Bei uns Landjunkern bröckeln die Standesgrenzen längst. Ich glaube ohnehin, dass die große Zeit der Ritter auf immer vorüber ist. Der reiche Stadtbürger, der Patrizier – der hat das Wort! Diese Pfeffersäcke haben längst mehr Macht als wir, und mehr Reichtümer sowieso. Mit uns,den landsässigen Edelfreien, geht es bergab. Wir landen wieder dort, wo wir einst herkamen: beim Bauernstand.» Er hielt inne. «Verzeih mir, Eva. Da red ich und red ich

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