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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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abgeerntet, dafür boten die Bauerngärten in den Dörfern noch üppige Kost, mit Kohl und Rüben aller Art, mit Mangold und Gartenmelde, mit den letzten Zuckererbsenund dem ersten Knollensellerie. Am verlockendsten aber boten sich die rotwangigen Äpfel und die letzten tiefblauen Zwetschgen dem Blick des Wanderers dar und warteten darauf, endlich gepflückt zu werden.
    Es war allein der Hunger, der Eva gegen Mittag in das nächste Dorf trieb. Mit dem ersten Sonnenstrahl des Morgens war sie aus ihrem Versteck am Waldrand gekrochen und seither marschiert, Schritt für Schritt, dicht am Straßengraben entlang, ohne Rast und ohne einen Bissen zu essen. Immerfort war Moritz’ Gesicht vor ihren Augen aufgetaucht, und jedes Mal aufs Neue hatte sie leise zu schluchzen begonnen. Wie hatte sie sich nur derart täuschen lassen können?
    Wenn dann einer der Leute auf der Straße sie voller Neugier oder auch Mitleid anstarrte, hatte sie ihr Schultertuch über Kopf und Gesicht gezogen, bis nur noch ein schmaler Schlitz über den Augen frei blieb. Jeder, der sie ansprechen würde, so schwor sie sich, würde eine Maulschelle verpasst bekommen.
    Als ihr knurrender Magen sie schließlich auf den Abzweig in Richtung des Dorfes trieb, war sie nicht die Einzige: Bald jeder, der zu Fuß unterwegs war, stapfte den steilen Wiesenweg hinauf, und kurz darauf vernahm Eva das quäkende Gedudel von Sackpfeifen, sah die Blumengirlanden, die den Palisadenzaun schmückten. Ganz offensichtlich feierte man hier eine Kirbe zum Erntedank.
    Bei diesen Menschenmassen rundum konnte sie es sich aus dem Kopf schlagen, sich unbemerkt in die Gärten zu schleichen. Aber gut – dann würde sie eben um ein Almosen bitten. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Vielleicht zeigten sich an Erntedank die Bauersleut großzügiger als sonst. Zumal wenn man eine halbwegs hübsche Jungfer war und ein demutsvolles Lächeln aufsetzte, wie sie es jetzt, als sie im Gedränge das Holztor passierte, beinahe trotzig tat.
    Vorwärtsgeschoben von einem steten Menschenstrom, gelangte sie auf den Kirchplatz, wo im Schatten einer mächtigen Linde Tanzboden und buntgeschmückte Buden und Bänke aufgebaut waren. Überall roch es köstlich nach Bratwürsten und in Zucker gerösteten Mandeln, dazu wurde Gewürzwein und Bier ausgeschenkt – es war kaum auszuhalten. Weit mehr noch als der Hunger aber quälte sie der Anblick der jungen Leute, die sich zur Musik der Fiedler und Sackpfeifer in ausgelassenen Sprüngen miteinander vergnügten. Vor allem ein hochgewachsener, fescher Bursche zog sie in seinen Bann: Er schien sein Mädchen mit Blicken zu verschlingen, umwarb und umgarnte es im Takt der Musik, bis er es schließlich blitzschnell neben das Podest der Spielleute zog und hingebungsvoll küsste. Ob er sie morgen auch noch lieben würde?
    «Da magst neidisch werden, was?»
    Ein nicht mehr ganz so junger Kerl mit fleckigem Gesicht und blondem Bart lachte Eva an.
    «Aufi! Gemma tanzen!»
    Er fasste sie bei beiden Händen und versuchte, sie die Stufen zum Tanzboden hinaufzuziehen.
    «Nein, lass mich.»
    Sie wollte ihn abschütteln.
    «Magst lieber ein Krüglein Wein? Auch recht.»
    Jetzt legte ihr der Bärtige vertrauensvoll den Arm um die Schultern und berührte dabei wie absichtslos ihre Brust.
    «Hast du Dreck in den Ohren?» So laut schrie sie jetzt, dass die Umstehenden sie angafften. «Ihr Kerle seid doch alle gleich. Lass mich in Ruh, hab ich gesagt.»
    «Blöde Zicke», hörte Eva ihn noch fluchen, dann schulterte sie ihren Beutel und zwängte sich durch die Menge hindurch bis an den Rand des Platzes. Hier, wo ein breiter Kiesweg zum Kirchenportal hinaufführte, war es schon bedeutend ruhiger.Eva betrachtete die mächtige Erntekrone aus Blumen und Getreideähren, die über dem Portal aufgehängt war.
    «Hübsch ist sie gworden, unsre Erntekrone, gei?» In einem Gärtchen, direkt neben dem Kirchhof, stand eine junge, ordentlich gekleidete Frau und lächelte sie freundlich über den niedrigen Zaun hinweg an.
    «Ja», erwiderte Eva. Sie hatte plötzlich nur noch Augen für den Korb voller Äpfel, den die Frau neben sich im Gras stehen hatte.
    «Ist’s dir auch zu eng gworden, drunten am Tanzboden?»
    Eva nickte.
    «Weißt, ich kann da nimmer hin.» Die junge Frau berührte ihren Bauch, der sich prall und rund unter dem Stoff wölbte. Dabei strahlte ihr rosiges Gesicht voller Glück. «Ich bin doch guter Hoffnung.»
    «Das freut mich für Euch. Ist es das Erste?»
    «Ja.

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