Die Vagabundin
Abend und das Morgenessen.»
Ihr blieb der Mund offen stehen. Das war mehr als Wucher! Doch sie wollte weder feilschen noch streiten, sondern sich so unauffällig wie möglich verhalten, damit sich später ja keiner an sie erinnern würde. Angesichts des Gewimmels und des Durcheinanders hier im
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war ihr nämlich ein hervorragender Einfall gekommen – und für den hätte sie selbst ihre sämtlichen zwölf Kreuzer ausgegeben.
Am nächsten Morgen gehörte sie mit zu den Ersten, die auf den Beinen waren und sich am Ausschank einen lächerlichen Klecks Gerstenmus abholten. Sie hatte höchstens zwei, drei Stunden geschlafen, und die waren zerrissen gewesen von bösen Träumen und dem angstvollen Hoffen, dass alles gut würde.
Von oben, aus den Schlafkammern, war seit einigen Minuten lautstarker Tumult zu hören, Flüche, Schmäh- und Schimpftiraden und übles Geschrei. Eva schulterte ihr Gepäck – den Ledersack und ein gutgefülltes Wolltuch – und verließ mit einem freundlichen Gruß zur Wirtin hin die Schankstube. So ruhig wie möglich marschierte sie hinüber zur Handelsstraße, die sich rasch füllte, und überreichte einer Zeitlerin ihre letzten beiden Kreuzer dafür, dass sie ihre schweren Taschen zu den Bienenkörben auf den Karren laden durfte.
Heilfroh war Eva über die Maulfaulheit der Alten und überließsich einem dumpfen Dämmerzustand, einer Mischung aus Müdigkeit und Niedergeschlagenheit, in der sie neben dem Karren hertrottete. Ansonsten hätte sie vielleicht ein Auge gehabt für die wilde Schönheit von Gottes Schöpfung ringsum: Mit ihrem dunkel schimmernden Wasser schlängelte sich die Schwarze Laber unterhalb der Straße durch ihr Tal, vorbei an verwitterten Felsgebilden und üppig bewachsenen Uferwiesen. Die Strömung trieb unzählige Mühlräder an, schmucke Kirchlein und Kapellen säumten den Weg. Immer wieder thronten kleine, aber wehrhafte Burgen der unterschiedlichsten Adelsgeschlechter auf den Felsen – das waren denn auch die einzigen Momente, wo Eva aus ihrer Schwermut auffuhr. Mit rauer Stimme erkundigte sie sich dann jedes Mal bei den Leuten rundum, wer die Herren dieser oder jener Burg seien. Dabei fielen Namen wie Hadamer von Laber und Ulrich der Zenger, sie hörte vom Geschlecht der Kamerauer und der Reisacher, der Wolfsteiner und Rosenbuschs, und nicht wenige von ihnen wurden als übelste Raubritter und Wegelagerer verflucht. Der Name Ährenfels fiel, zu ihrer großen Erleichterung, kein einziges Mal.
Wo die Strömung des Flusses nicht allzu stark war, setzten Fähren den Wanderer über, und auch Eva und ihre Begleiterin mussten sich einige Male samt ihrem Karren auf solch schwankende Planken wagen. Ein gutes Stück wollte sie schon noch weg sein vom
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und sich dann ein stilles Plätzchen im Wald suchen, um ihre Beute bei helllichtem Tage zu begutachten. Ihre größte Sorge war inzwischen, ob das Zeug ihr auch passen würde. Zwar hatte sie sich am Vorabend gleich als Erste, noch im Zwielicht der Dämmerung, auf ihren Schlafplatz in der Fensterreihe gelegt, um von dort die zumeist männlichen Schlafgäste, die nach und nach eintrafen, genauer in Augenschein zu nehmen. Doch leider kamen die meisten erst, nachdemder Wirt das Licht längst gelöscht hatte und damit kaum mehr als Umrisse zu erkennen waren. Sie hatte nicht die Kirbe im nahen Dorf bedacht, wo viele den Abend verbracht hatten. Dafür war die Mehrzahl der Männer reichlich betrunken – was wiederum Evas Absichten zum Vorteil gereicht hatte.
So hatte sie sich, obgleich sie todmüde war, gezwungen, wach zu bleiben. Gegen Mitternacht endlich war der Raum erfüllt gewesen von lautem Schnarchen, Gegrunze und Gefurze, der eine redete im Schlaf, der andere wälzte sich schwer hin und her, alle aber schienen fest zu schlafen. Da hatte sich Eva wie eine Raubkatze durch die Dunkelheit geschlichen, um sich das Nötige zusammenzusuchen: hier eine Hose samt Strümpfen, dort ein Paar Schuhe, hier ein Wams, dort ein Hemd, zuletzt sogar noch einen Hut.
All das war unbemerkt vonstatten gegangen. Erwartungsgemäß hatte es am nächsten Morgen seine Zeit gebraucht, bis die Bestohlenen ihre Verluste bemerkten – und sich zunächst einmal gegenseitig beschuldigten. Eva selbst lief kaum Gefahr, als Täterin erkannt zu werden. Sie war als anständig gekleidete junge Bürgersfrau gekommen und als ebensolche wieder gegangen.
Gegen Nachmittag schien Eva der Abstand zum
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weit genug, um sich das bunte Kleidergemisch
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