Die Vagabundin
Und die Hebamm sagt, in acht Wochen ist’s so weit. Magst einen Apfel?»
«O ja! Sehr gern.» Eva nahm den rotgelben Apfel entgegen, biss hinein und kaute so gierig, dass ihr der süße Saft das Kinn herabrann.
«Mei, bist du hungrig! Hast schon lang nix mehr ghabt?»
«Seit gestern.»
«Warum holst dir keine Bratwürstl? Magst die net?»
«Ich hab kein Geld. Ein Beutelschneider hat mir im Gewühl die Geldkatze abgeschnitten.»
«Du Ärmste! Und jetzt?»
«Weiß nicht – wenn ich vielleicht noch zwei, drei Äpfel haben könnt? Das wär schon was.»
«Komm doch einfach rein zu mir. Du schüttelst den Baum und liest auf, und wir machen halbpart! Mir fällt das Auflesen eh zu schwer.»
Kein Paternoster später hatte Eva ihr Schultertuch zu einem prallgefüllten Beutel geknotet.
«Was hast denn in dem andern Sack?», fragte die junge Frau neugierig.
«Werkzeug und Garne für meinen Vetter. Der ist Schneiderknecht, drunten bei Regensburg.»
«Du, ich könnt eine Nähnadel brauchen. Und Hefteln. Und ein wengerl Garn. Verkaufst mir was? Dann hättest a Geld für heut und morgen.»
«Das wär wunderbar! Hier, schaut!»
Eva öffnete den Lederbeutel und zog das Stoffsäckchen mit den Garnen heraus. Dabei wäre fast das kleine Jagdhütchen, das Moritz ihr geschenkt hatte, mit herausgefallen. Gott weiß, wie es zu den Werkzeugen geraten war.
«Oh! Was für ein hübscher, zierlicher Hut! Für den würd ich dir sonst was geben! Ich müsst nur warten, bis mein Mann zurück ist. Der ist der Schultes hier.»
Einen kurzen Moment lang zögerte Eva: Den samtweichen, mit Perlen bestickten Hut hatte Moritz ihr manchmal beim Liebesspiel aufgesetzt und sie dann zärtlich Prinzessin genannt. Andererseits würde er gewiss ein kleines Vermögen einbringen, und sie musste dann eine schmerzhafte Erinnerung weniger mit sich herumschleppen.
«Und? Was ist? Mein Mann würd ihn dir ganz sicher abkaufen. Er liebt so zierlichen Putz an mir.»
Eva sah in Gedanken einen fettwanstigen Dorfschultes vor sich, der mit geiferndem Blick seine herausgeputzte junge Frau begrabschte.
«Nein, der ist nicht zu verkaufen», sagte sie entschieden und stopfte die Samtmütze zuunterst in den Ledersack. Anschließend schlug sie zehn Kreuzer für die Nadeln und die Hölzchen mit schwarzem und blauem Garn heraus. Das war viel zu viel,und der Schultes würde lauthals schelten über diesen Kuhhandel, aber darum konnte sie sich jetzt nicht kümmern.
«Gibt es hier in der Nähe eine einfache Herberge?»
Die Frau nickte. «Das
Rössl
, eine Wegstunde von hier an der Nürnberger Straße. Musst aber früh dran sein. Da prügeln sich die Leut derzeit um einen Schlafplatz, seitdem drüben in Velburg das große Unheil ist.» Sie senkte Stimme und Blick. «Da ist nämlich die Pest ausbrochen, ganz schlimm! Jeden Dritten hat’s schon erwischt.»
Eva ließ sich noch den kürzesten Weg zur Handelsstraße erklären, dann bedankte sie sich mit einem reichlich schlechten Gewissen und beeilte sich, wegzukommen von der braven Frau. Die Sonne versteckte sich hinter dichten grauen Wolkenbergen, als sie talwärts hastete, und der kühle Wind ließ sie frösteln. So aß sie kurzerhand einen Apfel nach dem anderen auf, bis es ihr im Magen rumpelte, dann wickelte sie sich das wollene Tuch um Hals und Schultern.
Das
Rössl
befand sich, als einsamer Landgasthof, direkt an der Straße. Obwohl erst Nachmittag war, wimmelte es zwischen Stall, Scheuer und Herberge bereits von Fahrzeugen und Karren aller Art. Dabei wirkte das Anwesen ziemlich schäbig und heruntergekommen.
Als sie den überfüllten Schankraum betrat, entdeckte sie am Tresen den Wirt, wie er mit einer Gruppe vornehmer Kaufleute herumzankte.
«Dann macht Euch doch vom Acker, wenn es Euch nicht passt! Von wegen eigene Schlafkammer! Andre Leut wollen auch hier übernachten.»
«So ist’s!», blökte ein dürrer, langer Kerl mit verfilztem Haar und speckigem Umhang. «Meine Söhne und ich waren zudem vorher da!»
Jeder konnte dem Rösslwirt ansehen, wie er sich innerlichdie Hände rieb angesichts des guten Geschäfts, das ihm der Schwarze Tod nur einen halben Tagesmarsch von hier bescherte. Eva drängte sich nach vorn.
«Ist noch ein einzelnes Plätzchen vakant?», fragte sie.
Der Lange neben ihr grinste frech. «Darfst mit auf meinen Strohsack, das kost dich nix!»
Eva beachtete ihn nicht. «Also, was ist? Ich zahl sofort.»
«Acht Kreuzer der Strohsack. Zehn Kreuzer unterm Fenster. Mit dabei ein Bier am
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