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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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honigsüßen Phantastereien hingeben können, ihr Platz wäre an der Seite eines jungen Edelmanns?
    Sie bestastete vorsichtig ihre zerschrammte Stirn. Dem Himmel sei Dank – alles war noch da, auch ihr Beutel mit dem Werkzeug, nichts war gestohlen. Sie hatte wahrhaftig wie ein Stein geschlafen, den ganzen Abend und die ganze Nacht hindurch, hier auf dem blanken Waldboden, im Windschatten der Hütte. Sie durfte gar nicht daran denken, was ihr in dieser Einöde hätte zustoßen können, so gänzlich wehrlos und allein. Zeigte das nicht einmal mehr, was für ein mächtiger Schutzengel über sie wachte?
    Sie streckte ihre durchgefrorenen Glieder und stand auf. Wieder würde sie über die Dörfer ziehen und dabei ihr Brot verdienen, ganz so, wie es sich bewährt hatte. Vielleicht kam ja so viel zusammen, dass es für eine Schiffspassage bis nach Ulm reichte. Von dort sollte es gar nicht mehr so weit bis nach dem berühmten Straßburg sein, hatte sie gehört. Und in dieser Stadt wollte sie ihr gänzlich neues Leben beginnen. Eines wusste sie dabei sicher: Ein Mann sollte darin nie wieder eine Rolle spielen!
    Am Nachmittag, gerade als der Feierabend eingeläutet wurde, erreichte sie einen Marktflecken, der sich etwas abseits des Flusses in die mit Wacholder und Heidekraut bewachsenen Hügel schmiegte. Hier wollte sie ihre Kleider an den Mann bringen und dafür neue Nadeln und Garne, Borten und Schleifen erstehen.
    Während sie durch die Gassen schlenderte, hielt sie nachmöglichen Käufern Ausschau. Dabei kam sie am Tor eines Badhauses vorbei. Für gewöhnlich wäre sie achtlos daran vorübergegangen, hätte nicht ein Pulk von Neugierigen ihr den Weg versperrt.
    «Nur herein, ihr Leut!», brüllte ein barfüßiger, hemdsärmliger Mann, offenbar der Badknecht, der breitbeinig im offenen Tor stand. «Nur herein! Dank der wundersamen Errettung der Frau unsres Meisters vor dem sicheren Tod gibt’s heut, zur Feier des Tages, warme und kalte Wannenbäder um Gotteslohn, das Schwitzbad um einen Kreuzer! Nur herein also! Schröpfen und Purgieren, Aderlass und Haarschnitt, Zugpflaster und Klistiere – alles heut zum halben Preis! Herein, herein, das Feuer ist geschürt.»
    «Gibt’s die schöne Resi auch zum halben Preis?», rief einer. Die Umstehenden lachten und klatschten in die Hände.
    «Ich werd dir gleich die Zähn’ ausbrechen, du Pustelgesicht!», hörte Eva eine Frauenstimme. Hinter dem Badknecht erschien ein junges Weib, kräftig, hoch gewachsen, mit rosigen Wangen und tiefblauen Augen, die jetzt herausfordernd in die Runde blickten. Von dem hellblonden, unter der Leinenhaube hochgesteckten Haar fielen ihr zwei lockige Strähnen keck in die Stirn.
    «Bevor du dein Maul so aufreißt», fuhr das Mädchen fort, «solltest lieber ein heißes Bad nehmen. Du stinkst nämlich wie Ochsenpisse.»
    Jetzt wurde das Gelächter noch lauter, und die ersten Männer kramten in ihren Beuteln, um den Eintritt zu begleichen. Der Tag für das verlockende Angebot war geschickt gewählt: Am heutigen Samstag hatten viele Dienstboten von ihrer Herrschaft ein Badgeld erhalten, und auch die Handwerker pflegten sich samstagabends zu waschen, um dann reine Kleidung anzuziehen.
    Nachdem sich die Gasse geleert hatte, stand Eva noch immer unschlüssig vor dem Badhaus. Sie hatte nicht bedacht, dass morgen Sonntag war. Da würde sie nirgendwo ihre Kleider loswerden. Warum es also nicht gleich hier versuchen? Da hatte sie einen ganzen Haufen an möglicher Kundschaft beisammen. Vielleicht würden ja auch die Badersfrau und die Magd Gefallen an ihren Sachen finden?
    Als sie die Treppe hinunterstieg, schlug ihr dampfige Wärme entgegen. Dazu roch es ganz wunderbar nach Rosmarin, Liebstöckel und Kamille. Sie überlegte, wann sie das letzte Mal ein warmes Bad genommen hatte. Es musste Jahre über Jahre her sein.
    Auf der untersten Stufe blieb sie stehen. Für ein einfaches Badhaus war das Ganze überraschend geräumig: Mindestens zwanzig Schritt in beide Richtungen maß der mit Backsteinen geflieste Raum, an dessen Ende sich ein riesiger Badofen mit Warmwasserkessel erhob. Dahinter ging es in das Vorbad, wo sich die Gäste waschen oder sich mit kalten Güssen erfrischen konnten, wenn sie aus dem Schwitzbad kamen, das sich hinter einem Holzverschlag befand. Den meisten Platz aber nahmen drei riesige, ovale Holzzuber ein, in denen ein halbes Dutzend Menschen zugleich baden konnten. Über zweien schwebte dichter Dampf, der die Gesichter und Körper der

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