Die Vagabundin
ihr vielleicht einen Bissen übrig?»
«Ein Stückerl Brot in der Not sollst du spenden auch dem Fremden.» Der Bärtige lachte. «Aber sag uns erst, wer du bist.»
«Adam Auer aus Linz, Schneiderknecht auf der Stör.»
«Aha, ein Handwerker wie wir.» Er reichte ihr sein Messer, und Eva schnitt sich Brot und Käse ab, ohne indessen ihre beiden Gastgeber aus dem Augenwinkel zu verlieren.
«Der hier» – der Bärtige wies mit großer Geste auf seinen Banknachbarn – «ist mein Freund und Spießgeselle Peter Gerngroß, Schuster aus Nürnberg, und meine Wenigkeit nennt sich Lorenz Leichtermut.»
Gerngroß und Leichtermut – das klang nun doch verdächtig nach hergelaufenen Possentreibern. Aber was soll’s?, dachte Eva. Sie selbst war ja um keinen Deut besser.
«Und was für ein Gewerbe betreibst du?», fragte sie.
«Ich bin meines Handwerks ein Xylograph.»
«Xylo-was?»
«Auch Formschneider genannt. Ich fertige Druckmodeln.»
«Das verstehe ich nicht», gab Eva ehrlich zu.
«Dann erklär ich dir’s. Ich schneide das, was der Vorzeichner gefertigt hat, zu einer Druckform aus: zum Beispiel Verzierungen, Notenzeichen, menschliche Figuren, sogar ganze Zeichnungen.»
«Er ist wirklich ein Meister seiner Kunst, ich sag’s dir!» Peter Gerngroß kicherte, indem sein Oberkörper vor und zurück wippte, was ziemlich kindisch wirkte. Überhaupt schien dieser Bursche um einiges einfältiger als sein Freund.
«Hier, schau!» Der Bärtige kramte in seinem Beutel. «Messerchen, Stichel und Meißel, Knieeisen und Stechbeitel: Ich hab alles bei mir. Und das hier» – er zog eine Holzplatte hervor, auf der hübsche Ornamente eingeritzt waren – «ist mein Werkstück. Aus ganz weichem Lindenholz.»
«Und für was werden deine Formen dann verwendet?»
«Für alles, was eben so ansteht: für die Stoffmuster der Kattundrucker, für den Druck von Spielkarten, Büchern und Flugschriften. Die Arbeit geht mir nicht aus, schon gar nicht jetzt,wo allerorten dieses Glaubens- und Mönchsgezänk herrscht! Du glaubst gar nicht, welche Unmengen solcher Flugblätter in den großen Städten täglich gedruckt werden! Meist wandere ich zwischen Augsburg, Nürnberg und Regensburg hin und her, dort blüht nämlich der Bilder- und Buchdruck. Ja, ja» – er stopfte wieder alles zurück in den Beutel –, «ich komm viel herum. Schließlich bin ich ein freier Handwerker, als Xylograph untersteh ich keiner Zunft und kann meinen Lohn selbst bestimmen.»
«Aber – du trägst einen Ohrring?»
«Nun ja, mitunter, wenn ich auf meinen Reisen Kost und Unterkunft brauche, bin ich eben meines Zeichens Buchbinder aus der ehrwürdigen Schilderzunft zu Dinkelsbühl.»
«Wie das?»
Wieder begann Peter Gerngroß zu kichern. «Manchmal fertigt er auch, was er gar nicht soll! Falsche Papiere und so.»
«Halts Maul, Gerngroß!» Leichtermut, oder wie immer der Mann hieß, tat ärgerlich, dabei leuchteten seine Augen voller Stolz. Evas Neugier war geweckt.
«Heißt das», hakte sie nach, «du könntest aus mir einen – sagen wir mal – Goldschmied machen?»
«Ja mei – wenn du das willst! Auf dem Papier halt. Was du dann selber draus machst, liegt an deinem eignen Geschick.»
«Bloß – warum sollte ich Goldschmied werden, wenn ich nicht mit dem Lötrohr umgehen kann? Es wäre doch dumm, sich mit dem falschen Handwerk zu brüsten.»
«Das wär’s in der Tat. Ich sag immer: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Nicht wahr, Gerngroß? Natürlich geht es um was ganz andres. Hast du vom geschenkten Handwerk gehört?»
«Ja.»
«Dann weißt ja auch, dass zünftige Gesellen in jeder Stadt aufgenommen werden. Sie müssen nur ihre jeweilige Zunftherberge aufsuchen und bekommen sogar einen Zehrpfennigfür die Weiterreise. Vorausgesetzt, sie können beweisen, dass sie dieser Zunft auch angehören.»
Jetzt hatte Eva begriffen. Diese Gauner nutzten die Tatsache, dass Zünfte und Bruderschaften den wandernden Gesellen halfen, und zogen mit ihren gefälschten Papieren von einer Stadt zur anderen. Auf ihren Wanderungen hatte sie immer wieder davon gehört. Auch, dass solche Papiere leicht zu kaufen waren, allerdings für ein Schweinegeld. Sie selbst hatte dergleichen bisher nie in Erwägung gezogen, weil mit den mächtigen Zünften nicht zu spaßen war und aus der kleinen Gaunerei schnell ein lebensgefährlicher Betrug wurde.
«Ein bisserl Begabung gehört selbstredend auch dazu», fuhr Lorenz Leichtermut fort. «Du solltest ein freundliches Wesen
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