Die Vagabundin
haben, musst den Leuten Honig ums Maul schmieren und dir die unglaublichsten Geschichten ausdenken können. Das rettet dir mitunter nämlich den Hals, wenn du verstehst, was ich meine.»
Letzteres verstand Eva, schließlich waren auch ihr selbst diese Begabungen oft genug zugutegekommen.
«Und du könntest mir solcherlei Dokumente verschaffen?»
«Verschaffen – pah! Ich hab selbst alles, was es dazu braucht. Der Schlüssel zum Einlass in die warme Stube der Zünfte ist das hier.»
Er zog einen ganzen Stapel dünner Heftchen aus einem Stoffbeutel.
«In diesem Heft steht alles über deine Lehrzeit und deine Lossprechung und vor allem, und das ist das Wichtigste, das letzte Zeugnis. Für dich etwa könnte es folgendermaßen lauten» – mit einem Lächeln schlug er eines der Hefte auf –: «Wir Geschworene, Meister des Handwerks der Gewandschneider allhier in der Reichsstadt Ulm, bescheinigen hiermit und tun kund, dass gegenwärtiger Schneidergesell namens Adam Auer,zu Linz gebürtig, achtzehn Jahre alt und von Statur» – er sah auf –, «von Statur klein, gedrungen, dabei von zarten Gliedmaßen, mit dunkelbraunem Lockenhaar und dunkelblauen Augen, fast zu hübsch für einen rechten Kerl» – jetzt grinste er breit –, «bei uns allhier ein Jahr in Arbeit gestanden und sich in solcher Zeit über getreu, fleißig, friedsam und ehrlich, wie es einem zünftigen Handwerksgesellen gebührt, verhalten hat, welches wir in dieser Weis attestieren und deshalben unseren sämtlichen Mitmeistern diesen Gesellen nach Handwerks Gebrauch überall zu fördern geziemend ersuchen wollen. Ulm, auf Sankt Georgi anno 1564.»
Eva stand der Mund offen.
«Dass du so was kannst! Hat das – hat das noch nie jemand durchschaut?»
«Nicht dass ich wüsst! Ich schwör dir, damit musst du nie wieder im Schafstall oder auf dem freien Feld übernachten, so wie jetzt, als armseliger Wanderschneider.»
Gebannt lauschte Eva die nächste halbe Stunde den Schilderungen des Xylographen: wie gut es einem in den Zunfthäusern ergehe, sobald man sich als zünftiger Gesell auszuweisen vermochte. Umsorgt und beköstigt werde man, wie Hänschen im Schlaraffenland, und nach drei Tagen ziehe man mit vollem Bauch und einem Zehrpfennig im Sack von dannen. Zum Überwintern, und daran müsse man beizeiten denken, biete sich im Übrigen das Schwabenland an. Da lägen die Städte so dicht beieinander wie die Eier im Nest, und man erreiche bequem in einem einzigen Tagesmarsch das nächste Städtlein.
«Einen Meister, der dich in Lohn und Brot nimmt», schloss der Xylograph, «kannst dir natürlich auch suchen – falls du wahrhaftig arbeiten willst.»
Mochte dieser Lorenz Leichtermut auch ein schwatzhafter Prahlhans sein – ein wenig glich dieses Heftchen, das er in denHänden hielt, dem Schlüssel zum Paradies. Gewiss war die Gefahr, entdeckt zu werden, nicht zu unterschätzen – aber was hatte sie schon zu verlieren? War Wagemut nicht längst zu einem Teil ihres Wesens geworden, die Gefahr zu ihrem täglichen Begleiter? Plötzlich hatte Eva ihr Ziel vor Augen: Den Herbst und Winter über wollte sie als zünftiger Gewandschneider mit gefälschten Papieren in die Städte ziehen, um bei Meistern zu arbeiten, und würde damit richtig gutes Geld verdienen, nicht solche Elendsgroschen wie bisher. Im Frühjahr hätte sie dann ganz sicher so viel beisammen, dass es für eine Schiffspassage bis nach Straßburg reichte. Dort würde sie ihren Bruder wiedersehen und sich nach den Frauenzünften im welschen Frankreich erkundigen.
«Wie viel verlangst du für solche Papiere auf meinen Namen?»
«Weil mir deine Art gefällt, sagen wir mal: einen lächerlichen halben Gulden. Nochmal fünf Batzen drauf, und ich schlag dir sogar einen Ring durchs Ohr.»
Noch am selben Abend gelangte Eva mit taufrischem Lehr- und Gesellenbrief in der Tasche und Ring im Ohr vor das untere Tor von Velburg, das auf halbem Wege zwischen Nürnberg und Regensburg lag. Wieder einmal war sie ohne jeden Heller und Pfennig unterwegs, da sie nahezu ihr gesamtes Vermögen dem geschäftstüchtigen Formenschneider abgedrückt hatte. Aber für diesmal war das Geld zweifelsohne gut angelegt: Ganz wie Lorenz Leichtermut es prophezeit hatte, wurde sie allerfreundlichst eingelassen und überall mit offenen Armen empfangen. «Geh nach Velburg, da sind seit gestern die Tore wieder offen», hatte Leichtermut ihr geraten. «Kein Mensch schaut dort jetzt auf Papier und Siegel.» Und damit lag
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