Die Vagabundin
Donauseite – eben im bairischen Stadt am Hof, erbaut in alten Zeiten, als in Regensburg noch die Baiernherzöge residierten und Stadt am Hof seine Vorstadt war. Die Donaubrücke allein hielt nun zusammen, was durch die herrschenden Mächte getrennt war. Aus diesem Grund gelangte man auch von der Schönen Pforte ohne weitere Umstände auf die Regensburger Brücke und umgekehrt von der Brücke hinein ins Spital. Wer hingegen von hier ins Bairische wollte, musste an den vier geharnischten und bewaffneten Wächtern vorbei über die Zugbrücke am Schwarzen Turm.
All das wusste Eva selbstredend von Kathrin Barreiterin, und es versetzte ihr einen Stich, nur an sie zu denken. An diesegütige Frau, die trotz allen Ernstes, mit dem sie sich ihren Aufgaben widmete, immer auch ein herzhaftes Lachen parat hatte. Wie schwer musste ihr der Abschied gefallen sein, dass sie sich an diesem Morgen irgendwo im hintersten Winkel versteckt hatte! Jedenfalls hatte Eva sie im ganzen Siechenhaus und auch an ihrem Lieblingsplatz, dem Badanger, vergeblich gesucht. So war es der Spitalknecht gewesen, der sie zum Portal gebracht und mit einem freundlichen «Pfiad di, Adam!» hinausgelassen hatte.
Ihr war, als würde der Boden unter ihren Füßen schwanken, grad wie auf hoher See. Das musste der böige Wind sein, der an diesem trüben, nasskalten Dezembertag durch die Ebene pfiff. In schmutzigem Grau zeigte sich heute die Donau und schickte ihr Wasser in gischtigen Streifen gegen die Ufer der Donauinseln. Kaum wagte Eva einen Blick über die Brüstung zu werfen, wo tief drunten, unter den Brückenbögen, die starke Strömung schäumende Strudel gegen die Pfeilerinseln schlug. Sie atmete einige Male tief durch, dann hatte sie den Schwindel in ihrem Kopf besiegt.
Der Torwächter am südlichen Brückenturm ließ sie ohne weitere Fragen in die Stadt, nachdem er ihr den Weg zum Zunfthaus der Schneider gewiesen hatte. Hinter der Grieb, wo ein Arm des Stadtbachs verlief, erhob sich das schmale, dreistöckige Giebelhaus, das sich schmucklos und schlicht gab und einen neuen Anstrich gut vertragen hätte.
Umso gefälliger präsentierte sich die Zunftstube, in die der Zunftknecht sie führte: Die Wände waren mit Bildern, allerlei Zierrat und Schnitzereien geschmückt, ebenso die gewölbte Holzbalkendecke. Die beiden Stubenschilde über der Tür verrieten, dass sich Schneider und Kürschner die Stätte teilten.
Offenbar hatte der Spitalmeister sie angekündigt, denn der Zunftmeister und zwei Geschworene erwarteten sie bereits. DieAufnmiahmeprozedur war Eva jedes Mal aufs Neue ein Graus. Respektvoll verneigte sie sich vor dem Zunftmeister und überreichte ihm ihren Lehrbrief: «Glück herein, Gott ehre unser Handwerk!»
«Gott ehre unser Handwerk.» Der weißhaarige Mann warf einen flüchtigen Blick auf die beiden Männer, die rechts und links der prächtigen, kunstvoll bemalten Zunftlade standen, dann hielt er ihre Papiere dicht vor die Augen und prüfte sie eingehend.
Eva lief es heiß und kalt zugleich den Rücken hinunter. «Missfällt Euch etwas?», fragte sie mit rauer Stimme.
«Diese Unterschriften hier – die Ulmer unterzeichnen sonst immer zu dritt, und hier stehen nur zwei.»
Eva zuckte die Achseln, versuchte, ruhig zu bleiben und ihrer Stimme wieder einen festen Klang zu verleihen.
«Vielleicht war ja einer krank?»
«Vielleicht. Unterschriften kann man aber auch fälschen. Ganze Briefe und Dokumente lassen sich fälschen. Haben wir alles schon gehabt.»
Er blickte auf und musterte Eva, mindestens ein Ave-Maria lang, wie ihr schien. Endlich breitete sich ein Lächeln auf dem faltigen, ernsten Gesicht aus.
«Nein, nein, du siehst mir nicht aus wie ein Spitzbube. Zumal ja unser verehrter Spitalmeister Winklmair auch recht angetan von dir war. Nebenbei, lieber Adam Auer: Ich hoffe doch, du bist wieder ganz und gar genesen? Nicht dass du uns hier irgendeine Pestilenz einschleppst!»
«Habt keine Sorge, ehrwürdiger Meister. Man hat mich» – sie räusperte sich – «allergründlichst untersucht und für gesund befunden.»
«Gut, gut. Als zünftiger Geselle weißt du ja, was bei uns Usus ist. In unserer Herberge unterm Dach findest du ein Bett undeine Kiste für deine Habe. Suche dir also Arbeit bei einem Meister oder ziehe weiter. Oder möchtest du hier gar das Mutjahr abdienen und dein Meisterstück machen?» Die beiden Männer im Hintergrund traten ungeduldig von einem Bein aufs andere, und der Zunftmeister beeilte sich
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