Die Vagabundin
fortzufahren. «Dann müsste ich dir nämlich einen Meister finden, und das dürfte in diesen Zeiten schwierig sein.»
«O nein, dazu fehlt mir der nötige Mutgroschen ganz und gar.»
Der Alte nickte. «Verstehe. Alles Weitere erklärt dir der Herbergsvater.»
Damit führte er Eva durch den Flur in eine weitere Stube und verabschiedete sie mit einem Kopfnicken. Vor dem Ausschank des Herbergsvaters standen nur die üblichen grobgezimmerten Tische und Bänke. Durch das einzige Fenster zum Hinterhof fiel kaum Licht, und so erkannte Eva auch jetzt, am helllichten Tag, kaum mehr als die Umrisse der Männer im Raum. Umso besser, dachte sie. In solch düsteren Höhlen hatte noch nie einer Verdacht geschöpft, was ihr wahres Geschlecht betraf.
«Glück herein, Herr Vater», murmelte Eva ihren Gruß in Richtung des Mannes, der herbeigeschlurft kam. «Adam Auer ist mein Name.»
Der andere gab sich nicht einmal die Mühe, ihren Gruß zu erwidern. Stattdessen leierte er, während er Eva die steile Stiege hinaufführte, seinen Sermon herunter: Morgenessen zum Sonnenaufgang, Mittagessen zum Mittagsläuten von der Neupfarrkirch, Abendessen zur fünften Nachmittagsstunde. Wer zu spät komme, gehe leer aus. Gebetet werde vor jeder Mahlzeit, und zwar laut und vernehmlich, nach der Abendmahlzeit sei gemeinsam aus dem Evangelium zu lesen. Das Licht werde winters zur neunten Nachmittagsstunde gelöscht, der gemeinsame Kirchgang sei Pflicht.
«Jedweder Verstoß gegen Zucht und Ehre, gegen Sitte und Brauch kommt vor das Zunftgericht. Hier, das ist dein Bett. Noch Fragen? Nein? Auch gut.»
Noch nie hatte Eva in einer so riesigen Stadt wie Regensburg haltgemacht. Die Zunfthäuser oder auch Wirtsstuben der kleinen Städtchen, wo sich die Gesellen trafen, hatten sich immer als ein gemütlicher, meist feuchtfröhlicher Treffpunkt gezeigt. In kleiner Runde schwatzte jeder mit jedem, niemand wurde ausgeschlossen. In dieser Trinkstube indessen kamen zum Essen und Saufen mindestens dreißig Männer zusammen, es ging laut zu, aber sie als Neuling wurde schlichtweg nicht beachtet – von misstrauischen Blicken einmal abgesehen. Verbannt an ein winziges Ecktischchen, musste sie bei jedem Bröckelchen Fleisch oder Stück Brot aufstehen und sich durch die dichte Reihe der Männerrücken hindurchquetschen. Nicht selten wurde ihr dabei scheinbar unabsichtlich der Arm weggeschlagen, wenn sie nach dem Essen griff.
Als Eva an diesem Abend ihr Bier austrank, um als Erste von allen zu Bett zu gehen, wusste sie, dass sie ihren Vorsatz nicht durchhalten würde, nämlich Kathrin Barreiterin bis zu ihrer Abreise im Frühjahr nicht wiederzusehen.
Wenige Tage später, am Morgen nach Weihnachten, hatte sie mit Hilfe des Altgesellen in einem kleinen, schäbigen Haus eine winzige Kammer gefunden, die aber hell genug war für das, was sie vorhatte. Das unverputzte Ziegelhaus lag in der Lederergasse der westlichen Vorstadt, einem einfachen Viertel der Gerber und Leinenweber, wo es nach den geschabten Häuten stank, die überall auf den Dachböden und hölzernen Galerien zum Trocknen aufgehängt waren und wo in den engen Kammern oft ganze Familien lebten.
Eva hatte sich gar nicht erst die Mühe gemacht, in der Werkstatteines Meisters unterzukommen. Sehr schnell hatte sie herausgefunden, dass hier, in der Kaufmanns- und Patrizierstadt, die Glocken anders schlugen: Hier hatten die Zünfte längst nicht den Einfluss und die Bedeutung wie anderswo, hier sagte der Handelsmann, wo es längsging, und nicht der Schlossermeister.
Hilflos mussten die hiesigen Meister mit ansehen, wie bald jeder zweite Handwerker auf eigene Hand, gegen Taglohn oder Kost und Logis, einem Verleger zuarbeitete. Ganz besonders dort, wo es um die Herstellung von Kleidung, Tuchen und Garnen ging. Auch in anderen Städten gab es hier und da neben dem zünftigen Handwerk diese sogenannten Stückwerker, die sich in Verlag nehmen ließen von Kaufleuten. Als alleinige Auftraggeber stellten die dann die nötigen Stoffe, Materialien und Werkzeuge oder streckten das Geld hierfür vor.
Mit all ihrer Macht gingen die Zünfte andernorts gegen diese Störer und Pfuscher in ihren Reihen vor. Hier hingegen war der Zunftzwang durchlöchert wie ein Küchensieb. Verbot die Zunftordnung beispielsweise, auf Vorrat herzustellen, so tat ein Stückwerker eben nichts anderes: Er schneiderte ein Wams am andern und scherte sich dabei nicht um die vorgeschriebenen Arbeitszeiten. Zuletzt beschaute nicht mehr der
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