Die Vagabundin
wahrhaftig nur langsam voran. Der Niesreiz wurde von einem trockenen Husten abgelöst, hartnäckige Kopf- und Gliederschmerzen zwangen sie zur Bettruhe. Die Spitalmutter kümmerte sich um sie weitaus mehr als um alle anderen. Sie brachte ihr mehrmals täglich zu essen und frischen Kräuteraufguss. Als Schlaftrunk gab es einen besonders großen Krug mit nahrhaftem Spitalbier oder von dem gesüßten Roten, der auf den spitaleigenen Weinbergen gedieh. Dass sie weiterhin auf ihrem Strohlager nächtigen musste, schien der Barreiterin nichts auszumachen.
Nach zwei Wochen endlich hatte Eva den Katarrh überstanden, nur der lästige Husten hatte sich festgesetzt. Zum Kummer der Spitalmutter und zu ihrer eigenen Erleichterung musste sie eine Bettstatt im Schlafsaal der armen Leut beziehen, da derSpitalmeister nicht länger duldete, dass Eva und die Barreiterin in einem Raum nächtigten. Am Arm der Barreiterin machte sie ihre ersten kurzen Spaziergänge, bald tappte sie allein im Haus herum, in ihren unförmigen Filzschuhen und dem wollenen Überwurf, den die Barreiterin ihr besorgt hatte.
«Wie ein Mönch», neckte die sie jedes Mal, «fehlt nur noch die Tonsur.»
Doch das Scherzen verging ihr, als der Bader Eva für gesund erklärte. Bis spätestens zum Christfest habe der Schneidergesell das Spitalgelände zu verlassen und sich beim Zunftvorgeher der Regensburger Schneider einzufinden. Der sei für alles Weitere zuständig.
«Aber, Meister Hasplbeck! Das ist ja schon nächste Woche!» Die Spitalmutter legte ihm ihre Hand auf das dürre Ärmchen und sah ihn flehentlich an. «Der arme Junge! Mit so einem Husten können wir ihn nicht gehn lassen. Schaut doch nur raus, diese Schneestürme!»
«Die gehen vorbei, und Husten hat zu dieser Jahreszeit bald jeder. Das ist kein Grund, sich auf Kosten des Spitals ein faules Leben zu machen.«
«So ein Schmarrn! Überall macht sich Adam neuerdings nützlich, für keine Arbeit ist er sich zu schade.»
Das stimmte. Sowohl im Siechenhaus als auch drüben im Pfründnerstock kümmerte sich Eva um die Feuerstellen, säuberte die Abtritte, half in den Küchen aus, in der Spitalpfisterei und vor allem im Siechensaal, der sich füllte und leerte und wieder füllte. In ihrer zupackenden Art war Eva überall gern gesehen – nur dem Bader begegnete sie besser nicht. Dem nämlich ging Evas Freundschaft mit Kathrin Barreiterin gehörig gegen den Strich, weil er selbst, so krampfhaft wie vergeblich, um die Gunst der Spitalmutter buhlte.
So verwunderte es Eva nicht, dass er sich an diesem stürmischenWintermorgen durch nichts umstimmen ließ, auch nicht durch die schmachtenden Blicke seiner Angebeteten.
«Der Bursche ist gesund, da gibt’s nichts zu rütteln. Er hat im Siechenhaus nichts mehr verloren. Im Übrigen ist das nicht meine Entscheidung, ich hatte nur das fachliche Gutachten auszustellen. Geht Euch also beim Spitalmeister beschweren, liebe Barreiterin. Ohnehin begreif ich nicht, wieso Ihr Euch für diesen Habenichts solchermaßen einsetzt. Fühlt Ihr Euch etwa durch dieses halbe Kind geschmeichelt? Das ist doch lächerlich!»
Mit einem verächtlichen Schnauben ließ er die beiden stehen.
Als Eva an diesem Abend zu Bett ging, lag sie noch lange wach auf ihrem harten Strohsack. Auch wenn es ihr längst zu eng geworden war in diesem von Mauern umschlossenen Spitalgelände – der Abschied von der Barreiterin würde ihr schwerfallen. Kathrin – wie sie sie inzwischen nannte – war ihr zu einer Mutter und einer großen Schwester zugleich geworden. Und zur ersten Freundin ihres Lebens; einer Freundin, mit der man über Gott und die Welt schwatzen, aber auch schweigen oder herzhaft lachen konnte. Und klug war diese Kathrin, so klug, wie sie es noch bei keiner Frau erlebt hatte! Sogar lesen und schreiben konnte sie, und das besser als die meisten Männer. Als Eva noch bei ihr in der Kammer geschlafen hatte, hatte Kathrin beim Schein der Tranlampe oft stundenlang in einem wunderschönen alten Buch gelesen, dem
Feldbuch der Wundartzney
, das ein gewisser Hans von Gersdorff verfasst hatte.
«Der war Medicus im weitberühmten Antoniterspital in Straßburg», hatte sie ihr erklärt, und Eva hatte schwören müssen, niemandem zu verraten, dass sich die Spitalmutter heimlich Bücher aus der Bibliothek im Pfaffenstock holte.
Ein andermal hatte Eva sie gefragt, mit welcherlei Mitteln sie sie von dieser furchtbaren Tanzwut geheilt habe.
«Mit Gottes Hilfe und den Rezepturen des großen
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