Die Vagabundin
dürft die Stadt nicht verlassen. Ich komm auch jetzt gleich mit euch zurück.»
«Worauf du dich verlassen kannst. Und jetzt halt deine Saugoschn. Den Rest kannst den Richtern erzählen. Zum Beispiel, warum du auf deinem Spaziergang die Sachen der Badhüterin brauchst.»
«Ich wollt den Umhang gleich nachher noch nähen, deshalb hab ich ihn bei mir, das wird Euch die Frau bestätigen.»
«Halts Maul, sag ich!» Der andere hob drohend den Arm. «Und jetzt Abmarsch.»
An einem Strick um die Fußgelenke stolperte Eva den beiden Stadtreitern hinterher, vorbei an den hämischen Blicken der Torhüter, dann an den ungläubigen Bürgern, die die Gassen säumten. Statt in ihre Herberge wurde sie zu ihrem Entsetzen in den Strafturm gebracht. Dort stieß der Wärter sie auf eine Schütte Stroh und ließ die Tür krachend hinter ihr ins Schloss fallen.
Reglos lag sie da, lauschte wie betäubt den Rufen von draußen, dem Prasseln des Regens, der mit einem Schlag eingesetzt hatte. Sie richtete sich auf. Nein, noch war nicht alles verloren. Sick hielt große Stücke auf sie und auch all die anderen aus der Zunft. Die würden ihr schon glauben, dass sie nichts Unrechtes im Sinn gehabt hatte. Hatte sie nicht bislang immer ihren Hals aus der Schlinge ziehen können?
Gegen Mittag öffnete sich die Tür ihres Gefängnisses, und Meister Sick und die Badhüterin traten in Begleitung des Nördlinger Stadtammanns ein, was nichts Gutes verhieß.
«Was machst du nur für Sachen, Adam?»
Kopfschüttelnd betrachtete der Zunftvorgeher sie. In seinem Blick entdeckte Eva Mitleid, aber auch maßlose Enttäuschung.
«Sag mir ehrlich und ohne Ausflüchte: Was wolltest du vor der Stadt?»
«Mir war mit einem Mal nicht wohl in der Badstub. Da dachte ich, frischer Wind draußen in den Feldern würd mir guttun – ein, zwei Stündchen nur, dann wollt ich zurück sein.»
«Und der Umhang? Das Schultertuch?»
«Den Umhang wollt ich ausbessern, gleich nach dem Spaziergang wollt ich mit Nähen anfangen. Das hatt ich Euchdoch versprochen», wandte Eva sich nun an die Frau, «und Ihr hattet gesagt: Ist recht, nimm ihn nur mit. Erinnert Ihr Euch nicht?»
«Nein», entgegnete die Badhüterin. «Oder vielleicht doch? Ihr müsst wissen», wandte sie sich an den Ratsherrn, «dass ich in Eile war. Mit dem Badofen war was nicht in Ordnung.»
«Dann erinnert Ihr Euch also? Warum sollte ich schließlich Euren Umhang stehlen? Einen Weiberumhang – was soll ich damit anfangen? Und das Schultertuch, das hab ich völlig gedankenlos mit dazugenommen. Verzeiht mir.»
Für einen Augenblick herrschte Stille. Der Stadtammann räusperte sich. «Na ja – das ist wohl wahr. Was solltest du mit Weiberkleidern wollen?»
Sick lächelte erleichtert. «Ich denke, wir sollten dem Adam glauben. Außerdem hat er sich niemals was zuschulden kommen lassen. Im Gegenteil: Immer hat er sich hilfsbereit gezeigt und guten Willens.»
«Dann – kann ich jetzt gehen?»
Der Ammann schüttelte den Kopf. «Du wirst dich gedulden müssen. Bürgermeister Wörlin hat angewiesen, dich hierzubehalten, bis der Bote zurück ist.»
44
Drei Tage und drei Nächte verbrachte Eva in ihrer winzigen Kammer im Nördlinger Feilturm, ohne zu wissen, was mit ihr geschehen würde. Sie war die einzige Gefangene hier, wo sonst säumige Schuldner, Ruhestörer oder Saufbolde ihre Strafe absaßen. Zu ihrem Glück war der Wärter ein Vetter des Zunftknechts aus dem
Sternen
und begegnete ihr daher mit großem Wohlwollen. Täglich aufs Neue richtete er ihr Grüße von denZunftgenossen aus, füllte ihren Napf mehr als reichlich mit Gerstenbrei und leerte ihren Aborteimer sogar zweimal am Tag. Abends dann setzte er sich zu ihr aufs Stroh, was selbstredend streng verboten war, und teilte einen Krug Wein mit ihr. Der Mann war ein Lästermaul und zog über alles in Nördlingen her, was zwei Beine hatte, und Eva musste als Gegengabe für seine Gefälligkeiten von ihren Reisen erzählen – so schwer ihr das in ihrer Lage auch fiel. Wenn er sich dann verabschiedete, sagte er jedes Mal denselben Satz: «Wirst sehen, bald bist wieder ein freier Mann.» Dann starrte Eva in die Dunkelheit und klammerte sich an ihre letzte Hoffnung: dass der Stadtbote diesen Schwabacher Eisenkrämer nicht würde ausfindig machen können.
Am vierten Tag erschien der Wächter nicht allein. Der Stadtammann, von dem Eva inzwischen wusste, dass er Ulrich Herpfer hieß und dem Nördlinger Blutgericht vorstand, und der Bürgermeister
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