Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
Vom Netzwerk:
worden?»
    «Nein. Ihr glaubt gar nicht, wie einfach das war. Schneidernkonnt ich ja, und wie ein Geselle sich vor der Zunft mit Rede und Antwort halten soll, hatte ich zuvor in Erfahrung gebracht. Noch viel einfacher ist’s, als Mann durchzugehen: Da braucht’s nur abgeschnittenes Haar, Hut und Hose. Selbst in den Badhäusern, wo man nur ein Badhemd trägt, hat niemand was gemerkt.»
    «Das glaub ich nicht!»
    «Aber ja. Einmal wollte sogar eine Badmagd eine Liebschaft mit mir anfangen – das war ganz seltsam, dass grad die Frauen immer   …» Sie biss sich auf die Lippen.
    Heidenreichs hagerer Oberkörper schnellte vor, wie ein Raubvogel, der sich seine Beute krallt. «Sag schon – was war mit den Frauen? Hast du diese Badmagd geküsst? Wie ein Mann eine Frau küsst?»
    «Ich weiß nicht mehr – vielleicht   –, aber dann bin ich weggelaufen.»
    «Aber in Regensburg bist du nicht weggelaufen?», schnauzte Heidenreich. «Da hast du eine durch und durch ehrenwerte Bürgerin aufs schändlichste und abscheulichste betrogen! Welcher Teufel hat dir eingeflüstert, Gott und die heilige Institution der Ehe zu verspotten? Dich als Mann auszugeben und an unbescholtene Frauen heranzumachen? Das allein ist wider alle Natur und muss mit jeglicher Härte bestraft werden!»
    Er ließ die Faust auf die Tischplatte krachen. «Ein Weib soll nicht Mannssachen tragen, und ein Mann soll nicht Weibskleider antun, steht bei Moses geschrieben. Denn wer das tut, der ist dem HERRN, seinem Gott, ein Gräuel!»
    «Ich – ich weiß doch selbst nicht», stotterte Eva, «was es manchmal für eine seltsame Bewandtnis mit mir hat. Ich hab das einfach geschehen lassen. Die Barreiterin selber hatte ja ein Aug auf mich geworfen. Damals im Spital, als sie mich gesund gepflegt hatte. Nachdem ich einen starken Anfall gehabt hatte.»
    «Einen Anfall?», fragte Flanser.
    «Ja, die Wehtage, die Fallsucht. Das kommt manchmal so über mich.»
    Ihr entging nicht, wie die Ratsherren vielsagende Blicke austauschten.
    «Das hatt ich schon als Kind, und schon damals hatt ich Hosen anlegen müssen. Weil ich mich doch sonst freigestrampelt und vor aller Welt entblößt hätte – vor allem vor den alten, geifernden Männern», sagte sie leise und spürte, wie der vertraute Schwindel sie erfasste. «Der Wehtag kommt, wenn mich meine Kraft verlässt.»
    «Vielleicht kommt das aber auch über dich, wenn du ein Almosen erschleichen willst?», unterbrach sie Heidenreich. «Erzähl endlich weiter von Regensburg.»
    Nur mit Mühe brachte Eva, die sich kaum noch aufrecht halten konnte, die Schilderung der Monate mit Kathrin Barreiterin hinter sich. Jetzt, wo sie alles in Worte fasste, ging ihr wieder auf, was sie dieser Frau angetan hatte, und bat innerlich Gott und alle Heiligen um Verzeihung.
    «Ich hatte vorgehabt, ihr die Wahrheit zu sagen, weil ich sie nämlich wirklich lieb gewonnen hatte – aber da war’s zu spät. Ein arglistiger Mensch hatte mir nachgestellt und alles bei der Obrigkeit angezeigt. Den Rest, wie ich vom Bartel beraubt wurde und hierherkam, wisst Ihr ja.»
    Von Sankt Georg her läutete die Glocke den Feierabend ein. Ulrich Herpfer erhob sich.
    «Ich denke, für heut ist’s genug. Wir wissen nun, dass die Delinquentin in leichtfertiger Weise in Mannskleidern gegangen und alle Welt mit dieser Schalkheit betrogen hat. Vielleicht steckt aber noch mehr dahinter. Wärter, bring sie zurück.»

45
    Nachdem sie nun zumindest des Betrugs überführt worden war, hatte das Gericht angewiesen, sie bis zur Urteilsfindung bei Wasser, Suppe und Brot im Ratsgefängnis zu behalten. Das erfuhr sie von den beiden Wärtern, die sie Tag und Nacht bewachten – auch, dass der Stadtbote erneut losgeschickt worden war. Dass das nichts Gutes verhieß, ahnte Eva. Offenbar glaubte man ihr überhaupt nichts mehr.
    Sie verbrachte die Tage zwischen unruhigem Schlaf und Stunden bangen Wachseins, in denen sie auf die Geräusche von außen lauschte, auf Schritte und Stimmen, war hin und her gerissen zwischen Hoffen und Angst, dass man sie holen kam. Die mehr als karge Kost ließ sie stehen, nahm nur ab und an einen Schluck Wasser zu sich und starrte ansonsten in die Dunkelheit ihrer Zelle, bis ihr bekannte Gesichter und Gestalten erschienen, die sie wie in einem Reigen umtanzten – nur Moritz zeigte sich nie. Als sie schließlich sogar Stimmen vernahm, fürchtete sie um ihren Verstand. Sie bat die Wärter, ihr wenigstens ein Licht zu gönnen, was ihr aber von den

Weitere Kostenlose Bücher