Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
Vom Netzwerk:
einen Schrei, als er ihr rechts und links eine Ohrfeige verpasste.
    «Vielleicht bin ich ja nicht dein leiblicher Vater, aber noch bin ich hier der Hausherr, hast verstanden?»
    «Ja, Vater. Ich wollte doch nur   –»
    Sie zitterte am ganzen Leib, vor Kälte in ihrem dünnen Hemdchen, aber auch vor Angst. Denn in dem fahlen Dämmerlicht erkannte sie plötzlich wieder diese Gier in seinen Augen. Seine dürren Finger krallten sich in ihre Brüste, die sich unter dem Stoff abzeichneten, zugleich warf er Eva mit seinem ganzen Gewicht rückwärts gegen die Wand.
    «Ihr Weiber seid doch alle gleich.» Sein Atem ging in ein stoßweises Keuchen über. «Ein Fluch ist’s mit euch. Nichts wert seid ihr und Huren allesamt!»
    Seine Rechte fuhr ihr unter das kurze Hemd, die Finger krallten sich in ihren Schoß. Ein brennender Schmerz durchfuhr sie wie ein Dolchstoß. Sie schrie auf. Da presste er seine Brust gegen ihr Gesicht, dass sie kaum noch Luft bekam, und versuchte zugleich, die Kordel seiner Hose zu lösen.
    «Jetzt kriegst, was du verdienst. Ein für alle Mal!»
    «Nein!»
    Sie wusste selbst nicht, woher sie in diesem Augenblick die Kraft nahm. Ihr Knie schnellte mitten in seinen Schritt. Ein viehisches Gebrüll – dann sackte Gallus Barbierer vor ihr zusammen und krümmte sich gotterbärmlich auf dem Boden. Einen Moment stand sie wie gelähmt, dann rannte sie hinüber zur Stiege, wo sie ihren Umhang vom Haken riss und in ihre Holzpantinen schlüpfte. Von oben hörte sie unterdrücktes Schluchzen: Niklas’ entsetztes Gesicht schob sich über die Bodenluke.
    «Gehst du fort?»
    Eva ließ den Umhang sinken und schüttelte schweigend den Kopf. Niemals würde sie den Kleinen allein zurücklassen. Wohin sollte sie auch gehen? Sie hatte ja niemanden mehr in dieser Stadt.
    «Das Täubchen wollt wohl ausfliegen?»
    Eva fuhr herum. Ihr Stiefvater hatte sich vor der Haustür aufgebaut, halb nackt und noch immer mit gekrümmtem Oberkörper. In der Faust hielt er die Weidengerte, mit der er Niklas den Hintern zu versohlen pflegte.
    «Komm nur her und hol dir ab, was dir gebührt. Und du Scheißkerl dort oben, sperr deine Glotzer auf. Ja, schau nur zu, was ich gleich mit deiner Schwester machen werd.»
    Er ließ die Rute durch die Luft schnellen.
    «Los, an den Tisch und ausziehen! Wird’s bald?»
    Er kam breitbeinig auf sie zu, Eva wich Schritt für Schritt zurück. In ihren Ohren begann es zu rauschen, wie damals, als der Veitstanz sie gepackt hatte. Sie versuchte, ruhig durchzuatmen, ihrer Kehle entrang sich dabei ein Wimmern wie bei einem verletzten Tier.
    «Heul nur, es nutzt dir alles nix.» Gallus’ Stimme hatte längst wieder den verhassten wollüstigen Beiklang. Und tatsächlich:Sein halblanges Hemd begann sich zwischen den Lenden zu wölben. Dann brüllte er:
    «Zieh dich aus!»
    Plötzlich wusste Eva, was zu tun war. Nie wieder sollte ihr Stiefvater an sie gehen, nie wieder! Ihre Muskeln spannten sich, dann war sie mit einem Satz in der Küchenecke und riss das Fleischmesser vom Haken.
    «Wenn du mich anlangst, stech ich zu», fauchte sie.
    Gallus Barbierer stutzte, dann brach er in Hohnlachen aus.
    «Du elendes Hurenbalg, das wirst nicht wagen. Gib das Messer her.»
    «Keinen Schritt weiter!»
    Aber es war zu spät. Er stand dicht vor ihr und holte mit der Gerte weit aus. Blitzschnell duckte sie sich und stach zu, einmal, zweimal, vielleicht ein drittes Mal. Blut schoss aus dem nackten Oberschenkel des Stiefvaters, sein Leinenhemd färbte sich rot. Gallus Barbierer schwankte wie ein Mast im Sturm, die Weidengerte fiel ihm aus der Hand, dann kippte er lautlos zur Seite.
    Heulend kam Niklas die Stiege heruntergestolpert. Eva ließ das Messer fallen und starrte mit offenem Mund auf den leblosen Mann. Sie hatte ihn getötet, den eigenen Vater hatte sie erstochen! Das war das Ende!
    Niklas wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. «Was hast du bloß getan?»
    «Schnell, zieh dich an. Wir müssen verschwinden.»
    Wenige Minuten später trugen sie alles auf dem Leib, was sie an Kleidung besaßen, dazu die Geldkatze, die Eva von ihres Vaters Gürtel abgeschnitten hatte. Als sie den Riegel von der Haustür zurückschob, hörte sie hinter sich ein lautes Stöhnen: Gleich einer riesigen Blindschleiche, die nach Luft schnappt, wälzte sich ihr Vater über den Lehmboden auf sie zu, einen Arm ausgestreckt, als wolle er sie packen.
    «Ich – mach – dich – tot», keuchte er.
    Selbst in dieser Düsternis sah sie die Blutspur

Weitere Kostenlose Bücher