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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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glänzen, die Gallus Barbierer hinter sich herzog. Das hier war schlimmer als der schlimmste Albtraum. Fort, nur fort von hier, schrie es in ihr. Sie riss Niklas mit sich hinaus und ließ die Tür krachend ins Schloss fallen. Dann rannten sie los durch die noch menschenleere Gasse.

7
    «Wohin gehn wir?»
    «Weiß nicht.»
    Sie saßen am Rande einer Waldlichtung, auf einem umgestürzten Baumstamm. Trotz der wärmenden Strahlen der Morgensonne fror es Eva bis ins Mark. Nur erst mal fort aus der Stadt hatte es sie getrieben, hinauf in den Schutz der Wälder, wo man sich notfalls vor irgendwelchen Verfolgern verstecken konnte. Doch bislang war keine menschliche Stimme durch den lichten Buchenwald gedrungen. War ihre Tat womöglich noch gar nicht entdeckt worden? Vielleicht war ihr Vater ja längst verblutet.
    «Ich will nach Haus!»
    «Nach Haus, nach Haus – das nennst du ein Zuhause? Diese armselige, dreckige Hütte? Willst du wirklich zurück in das Haus eines Vaters, der dich dein Lebtag lang nur geprügelt hat? Der jetzt wahrscheinlich tot in seinem Blut liegt? Willst du das?»
    Sie hatte ihn bei den Schultern gepackt und schüttelte ihn jetzt wütend.
    «Au! Du tust mir weh!»
    Sie hielt inne. Dann nahm sie Niklas in den Arm und streichelte sein Haar.
    «Es tut mir leid, Igelchen. Wenn du willst, geh zurück. Aber ich kann mich dort nie wieder blicken lassen. Man würd mich auf der Stelle einsperren, verstehst du? Man würd mich in einen Sack stecken und in die Donau schmeißen.»
    «Aber du kannst doch nichts dafür. Du hast dich doch nur gewehrt. Außerdem hast du ihn ja nur ins Bein getroffen, ich hab’s genau gesehen, das schwör ich dir. Ganz gewiss lebt er noch.»
    Sie schüttelte den Kopf. Selbst wenn Niklas bezeugen würde, dass es Notwehr war: Sie wusste, wie es vor den Richtern lief. Immer lag die Schuld beim Weib, wie bei Josefina. Erst neulich hatte man drunten in Linz ein junges Mädchen gebrandmarkt, weil es den eigenen, leiblichen Vater verführt haben sollte!
    «Du hast doch gesehen», sagte sie leise, «wie es Josefina ergangen ist. Sie hat was viel Geringeres getan, und trotzdem hat man sie aus der Stadt gejagt. Nein, Niklas, ich muss weg von hier, so weit wie möglich.»
    «Dann geh ich mit dir.» Er drückte fest ihre Hand. «Ganz gleich, wohin.»
    In diesem Augenblick wusste Eva, wohin sie gehen würden. Dass sie daran nicht gleich gedacht hatte! Sie drückte ihrem Bruder einen Kuss auf die Wange und stand auf.
    «Hör zu, Igelchen. Wir gehn zu unsrer Muhme nach Straubing. Und dort ist auch Josefina.»
    Niklas sah sie zweifelnd an. «Bist du dir sicher?»
    «Ganz sicher. Wohin sollte sie denn sonst gegangen sein? Unsere Mutter hat nur diese eine Schwester. Und wenn Josefina dann erst ihr Kind hat, suchen wir uns alle zusammen ein Dorf, wo uns keiner kennt, und du gehst als Hütejunge und wir als Mägde.»
    «Das ist schön! Wie viele Tage müssen wir laufen bis Straubing?»
    Eva dachte kurz nach. «Drei!»
    Das war schlichtweg erfunden. Sie wusste nur zwei Dinge über diese Stadt: dass sie wie Passau am Donaustrom und dass sie im Bairischen lag. Demnach mussten sie also der Donau nur stromaufwärts folgen. Ob sie dafür allerdings drei Tage oder drei Wochen oder gar drei Monate brauchen würden, davon hatte sie keine Vorstellung. Und es war ihr auch gleichgültig. Hauptsache war, dass auch Josefina diesen Weg, diesen Ausweg, eingeschlagen hatte.
    Lieber Gott, betete sie, mach, dass wir uns alle in Straubing wiederfinden.
     
    Bis zum Mittag zogen sie im Schutz der bewaldeten Hügel weiter, immer in der Angst, verfolgt zu werden. Dann hatten sie plötzlich den silbrig glänzenden Strom aus den Augen verloren.
    «So ein Bockmist», murmelte Eva und blieb stehen. Wenn sie sich nicht verirren wollten, mussten sie umkehren und den nächsten Pfad hinunter ins Tal nehmen. Außerdem wurde ihr die Einsamkeit hier oben langsam unheimlich.
    «Ich hab Hunger», jammerte Niklas.
    «Ich auch.» Sie hatten den ganzen Tag nichts als Waldbeeren, Nüsse und wilde Kräuter gegessen. «Aber du musst schon noch Geduld haben. Wenn wir unten im Tal sind, kehren wir ins nächste Dorf ein und fragen nach Brot.»
    Unwillkürlich tastete sie nach der Geldkatze unter ihrem Rock. Viel war nicht drin. Und doch genug, das wusste sie, um Opfer von Wegelagerern und Beutelschneidern zu werden. Hier im Wald würde ihnen keine Menschenseele beistehen können, wollte ihnen einer die Kehle durchschneiden. Sie lauschte. Wie still

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