Die Vagabundin
rotznäsiger Knabe die Tür zur Küche öffnete, verflogen ihre Zweifel. Die Wärme des Herdfeuers umfing sie wie ein Willkommensgruß, die mit dicken Polstern versehene Eckbank lud zum Ausruhen ein. Dazu zog ihnen der Duft kräftiger Fleischbrühe in die Nase.
«Na, alter Freund, lässt dich auch mal wieder blicken? Mein Weib wird sich freuen.»
Im Türrahmen stand eine massige Gestalt, mit grauem Vollbart und unzähligen Lachfältchen in dem vom Wetter gegerbten Gesicht.
«Das hoff ich doch», erwiderte Edelman, und die beiden Männer schlugen sich zur Begrüßung auf die Schulter, wobei der schmächtige Schneider fast in die Knie ging.
«Und wen hast da mitgebracht? Hast endlich eine Frau gefunden? A bisserl jung vielleicht, was?»
«Nein, nein – das ist Eva, meine Näherin. Und Niklas, ihr Bruder. Ich sag dir, Eva ist die schnellste Näherin, die du je gesehen hast. In ein, zwei Tagen bessern wir dir deine gesamte Kleiderkammer aus.»
«Na so was.» Der Bergbauer schüttelte lächelnd den Kopf. «Dann hol ich doch gleich mein Weib aus dem Stall, damit sie euch ein paar Sachen bringt. Bis zum Nachtessen ist noch Zeit, da könnt ihr schon einiges wegschaffen. Hier, Kerlchen» – er nahm einen Apfel aus einer Schüssel mit frischem Obst und drückte ihn Niklas in die Hand –, «damit du nicht vorher verhungerst. Bis gleich also.»
Eva war wie vor den Kopf geschlagen. Sie war felsenfest überzeugt gewesen, dass im Dorf von Wenzel Edelman Frau und Kinder auf ihn warteten. Und nun musste sie erfahren, dass erganz offensichtlich auf Freiersfüßen wandelte. In was war sie da nur wieder hineingeraten?
«Hattet Ihr nicht gesagt, Ihr wolltet heim zu Euren Kindern?», fragte sie leise. Ihre Stimme zitterte leicht.
«Aber ja. Sie sind in der Obhut meiner Schwester.»
«Und – Eure Frau?»
Wenzel Edelmans Blick verdüsterte sich. «Sie ist im Kindbett gestorben, Gott hab sie selig.»
«Genau wie unsere Mutter», entfuhr es Niklas.
Erstaunt zog der Schneider die schmalen Brauen in die Höhe. «Ich dachte, eure Eltern sind durch Mordbrenner umgekommen?»
Eva warf ihrem Bruder einen finsteren Blick zu. «Unser Vater und unsere Stiefmutter», beeilte sie sich zu sagen und fügte hinzu: «Ihr seid also auf der Suche nach einer Frau.»
Für einen Augenblick blickte er verständnislos drein, dann klärten sich seine Züge: «Aber doch nicht darum hab ich euch mitgenommen! Um Himmels willen, nein! Du bist schließlich noch ein halbes Kind. – Ah, da kommt ja die Herrin des Hauses!»
Beladen mit einem Stapel Kleider und Tücher, trat die Bauersfrau ein. Sie war ebenso kräftig wie ihr Mann, nur war ihr Gesicht glatt und rosig. In jungen Jahren musste sie eine sehr schöne Frau gewesen sein. Jetzt reichte sie, nachdem sie ihre Last auf dem Tisch abgelegt hatte, Edelman und Eva die Hand. Niklas strich sie übers Haar.
«Das freut mich, dass du eine Näherin mitgebracht hast. Unser Bettwerk hat’s bitter nötig, geflickt zu werden. Habt ihr denn überhaupt noch die Kraft zu arbeiten, nach dem langen Marsch zu uns herauf?»
«Aber ja, Hauflerin. Kennst mich doch.»
«Na dann … Ich mach mich solang ans Kochen.»
Als die Hauflerin den dampfenden Eintopf auf den Tisch stellte, begann es draußen bereits zu dämmern. Zu den Bauersleuten gesellten sich noch Magd und Knecht, dazu die beiden Söhne, beide ungefähr in Niklas’ Alter. Eva konnte es kaum fassen: In dem Eintopf schwammen neben Steckrüben, Kohlblättern und Pastinaken unzählige fette Wurstscheiben und Fleischbrocken! Wann hatten sie das letzte Mal Wurst und Fleisch gegessen?
Nachdem die Holzschüssel leer gekratzt war, füllte die Bäuerin nach.
«Esst euch satt, alle mitnander. Danach zeig ich dir und dem Kleinen euren Schlafplatz unter der Stiege. Du, Wenzel, bekommst wie immer deine Kammer.»
«Nein, nein, lass mich nur unter der Stiege schlafen», protestierte Edelman. «Die beiden brauchen mal ein richtiges Bett, hab ich den Eindruck.»
So hat sich doch noch alles zum Guten gewendet, dachte Eva, als sie wenig später mit Niklas im Bett lag. In einem richtigen Bett, mit dicker Daunendecke und einem Kopfkissen, das nach Kräutern duftete – sie konnte ihr Glück noch immer nicht fassen! Sie warf einen letzten Blick auf das kunstvoll geschnitzte Kruzifix, das im Mondlicht schimmerte, legte den Arm um Niklas; dann schlief sie ein, in wohliger Erschöpfung.
Zwei Tage und drei Nächte blieben sie auf dem Einödhof. Eva verbrachte die
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