Die Vagabundin
Zeit mit Zuschneiden, Nähen und Flicken, während sich Niklas im Stall und auf der Weide nützlich machte. Um seinetwillen hätte sie noch ewig hierbleiben wollen, schon allein der herzhaften Mahlzeiten wegen. Darüber hinaus hatten die beiden Bauernjungen offensichtlich wenig Abwechslung in der Einsamkeit des Hofes, und so hatten sie ihren Bruder sofort in ihrer Mitte aufgenommen. Stolz zeigte Niklas Eva amzweiten Abend allerlei Kniffe beim Raufen, die die Brüder ihm beigebracht hatten: Jetzt würde ihn niemand mehr so schnell zu Boden zwingen, hatte er ihr verkündet, als sie schließlich lachend und um Luft ringend auf dem Dielenboden ihrer Kammer lagen.
Wenzel Edelman war ein eher bedächtiger Mensch. Während der Arbeit verlor er kein Wort zu viel, bei den Mahlzeiten indessen, nach dem ersten Krüglein Starkbier, taute er auf. Dann erzählte er, in seiner ruhigen Art, von seinen Kindern oder seinen Reisen, die ihn bis ins Böhmische geführt hatten. Eva mochte ihn immer mehr.
Viel zu bald kam der Morgen des Abschieds vom Einödhof. Es war ein nebliger Oktobertag, als die Hauflerin vor der Haustür einen nach dem anderen in ihre fleischigen Arme nahm. Eva musste ihr noch versprechen, eines Tages wieder bei ihnen vorbeizuschauen, dann zogen sie los.
«Wie weit ist’s noch bis in Euer Dorf?», fragte Eva, als die Lichtung mit dem Einödhof im Morgennebel verschwunden war.
«Zwei Tagesmärsche von hier, im Bischofsmaiser Winkel. Aber wenn wir gute Arbeit finden, kann es länger dauern.» Er lächelte fast entschuldigend. «Ich muss es doch ausnutzen, eine so tüchtige Näherin zur Seite zu haben. Und dir hat es ja auch ein paar Kreuzer eingebracht.»
Dann erklärte er ihr, dass sie bald auf den Böhmweg stoßen würden, den uralten Handelspfad der Säumer. Das seien wandernde Händler, die auf ihren Pferden und Maultieren vor allem Salz, Korn und Felle zwischen Baiern und Böhmen austauschten.
«Dieser Säumerpfad führt von Deggendorf über Bischofsmais und Zwiesel bis nach Prag, quer durchs Gebirg», schloss er seine Ausführungen.
«Stimmt es», fragte Niklas, «dass es dort von Wölfen und Bären wimmelt?» Er war den ganzen Weg schweigsam und mit traurigem Gesicht neben ihnen hergetrottet. Ihm schien der Abschied vom Einödhof am schwersten gefallen zu sein.
«Das haben dir wohl die Hauflerbuben weisgemacht!» Wenzel Edelman lachte leise. «Keine Angst, das sind scheue Tiere, die uns Menschen wohlweislich aus dem Weg gehen. Der einzige Braunbär, dem ich je begegnet bin, lag tot in einem Bachbett. Und die Wölfe heulen dich höchstens in den Schlaf.»
«Müssen wir denn draußen im Wald schlafen?», fragte Niklas ängstlich.
«Aber nein! Am Wegrand sind überall Saumstationen, zum Wechseln der Lasttiere. Da findet sich immer ein Plätzchen zum Übernachten.» Er zupfte sich am Bart. «Viel schlimmer sind die Wegelagerer, die den Händlern auflauern. Deshalb müssen wir uns einer Reisegruppe anschließen. Aber jetzt genug mit dem Gerede! Ich würd sagen, da vorn unter dem Bergahorn machen wir Rast, die Hauflerin hat uns eine köstliche Brotzeit eingepackt.»
Als sie nach einem letzten steinigen Aufstieg den Handelsweg erreichten, bot sich ihnen ein atemberaubend schöner Ausblick: Wie die Rücken schlafender Tiere lagen die Berge ringsum, von der Sonne beschienen, über dem weißen Nebel im Tal. Zum Staunen blieb wenig Zeit, denn sie reihten sich sogleich ein in eine Gruppe von Kornhändlern mit schwerbepackten Mauleseln, die unterwegs nach Zwiesel waren. Die fünf Männer erwiesen sich als maulfaule Gesellen, dafür waren sie gut bewehrt mit ihren Langmessern und Katzbalgern. Nicht zum ersten Mal wunderte sich Eva, wie viele Menschen noch in den einsamsten Gegenden unterwegs waren und die Gefahren der Landstraße auf sich nahmen. Als Kind, in ihrer Glatzer Zeit, hatte sie immer geglaubt, dass alle Welt im Schutz der Dörferund Städte lebte und sich nur Ehrlose, Räuber und andere verdächtige Gesellen hinauswagten Jetzt wanderte sie selbst von einem Ort zum anderen und fand gar nichts dabei.
Der Böhmweg führte sie bergauf, bergab, mitten durch die Welt des bairischen Nordwalds, mal steil und steinig, mal in sanften Schlangenlinien, vorbei an heckenbesäumten Waldweiden und Fischteichen, dann wieder durch enge, dunkle Schluchten, wo sich die Wasser der Bergbäche in die Tiefe stürzten. Die zahlreichen Kapellen und Bildstöcke ließen sie links liegen, die Männer, mit denen sie wanderten,
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