Die Vagabundin
vier Wochen mit mir. Du kannst ein anständiges Geld verdienen, und später dann würd ich euch in Straubing vorbeibringen, wohin ich eh längst mal wieder wollte.»
«Und wann wäre das?»
«Auf jeden Fall vor Wintereinbruch.»
Das ist ja noch ewig hin, dachte Eva. Andererseits: War nicht genau das die Lösung? Damit würde sie sowohl den Aufdringlichkeiten dieses falschen Mönchs entgehen als auch der Gefahr, an den nächstbesten Büttel verraten zu werden. Was machten schon ein paar Wochen aus? Außerdem war dann vielleicht Gras über die schreckliche Sache gewachsen und man hatte die Suche nach ihr längst aufgegeben. Ihr Blick fiel auf Niklas, der ihr nur noch Haut und Knochen zu sein schien. Wenn sie anEdelmans Seite tatsächlich wieder zu anständigen Mahlzeiten kommen würden, dann war es den Umweg allemal wert.
«Wir kommen mit.»
«Das ist fein!»
Auf Evas Bitte hin versprach der Schneidergeselle, dass sie sich ohne Vorankündigung und Aufhebens von ihren Weggenossen trennen würden. Sie kamen zu einer Marienkapelle, wo ein Sträßchen zu der Burgruine oben im Wald abzweigte. Eva fiel mit den anderen vor dem kleinen Altar auf die Knie. Mit einer Inbrunst wie lange nicht mehr erflehte sie von der Mutter Gottes Segen und Kraft, für alles, was noch vor ihr lag. Da entdeckte sie plötzlich inmitten der Fürbittzettel, Kerzen und anderen Opfergaben, die rund um den Altar lagen, ein grünweißes Tüchlein, fein bestickt. Sie hielt den Atem an: Genauso ein Tüchlein hatte Josefina besessen! Es war ihr größter Schatz gewesen, denn es hatte einst ihrer Mutter gehört. Und dann erkannte sie auch schon die beiden Buchstaben in der Ecke:
C T
– für Catharina Tuchnerin, der Name ihrer Mutter!
Eva war, als würde das Schicksal sie umarmen. Sie war auf der richtigen Spur – ihre Schwester hatte tatsächlich den Weg nach Straubing eingeschlagen! Jetzt gab es für sie keinen Zweifel mehr, dass sie sich bei der Muhme wiedersehen würden.
Ihr Herz zog sich vor Sehnsucht nach Josefina zusammen, und für einen kurzen Moment war Eva drauf und dran, nun doch mit den Jakobspilgern weiterzuziehen. Aber nach ihrem letzten Ave-Maria, das sie mit einem erleichterten Amen beschloss, traf sich ihr Blick mit dem Anselms, der sie grinsend betrachtete, neben sich die Passauerin. Nein, sie durfte es nicht drauf ankommen lassen. Den beiden war nicht zu trauen. Als Wenzel Edelman ihr zunickte, erhob sie sich und folgte ihm zusammen mit Niklas nach draußen.
«Gehen wir», sagte ihr neuer Weggefährte feierlich.
8
Wenzel Edelman kannte die Berge wie seine Wohnstube. Es war eine wilde Gegend, mit schroffen Felsen und dunklen Wäldern, die sich nur zu den Dörfern, Einödhöfen und Flussläufen hin lichteten. Gleich hinter der Burgruine waren sie steil bergan gewandert, und schon bald hatte Edelman den Hauptweg verlassen und war gewundenen Pfaden gefolgt, die mitten hinein in den undurchdringlichen Wald führten. Sie mussten über umgestürzte Bäume klettern und auf den von Riesenhand hingeschleuderten Steinbrocken schäumende Bergbäche überqueren. Hoch über sich hörten sie die Baumwipfel im Wind rauschen, während längs des Pfades sich kein Blatt rührte. Irgendwann führte ihr Weg sie durch einen Weiler, dann entlang einer Ansammlung verlassener Köhlerhütten, bis sie den ersten Bergkamm erreichten. Am Hang gegenüber erkannte Eva eine großflächige Lichtung mit einem einsamen Hof mittendrin.
Ihre Beine waren von dem strammen Marsch wie Blei, zugleich fröstelte ihr. Hier oben war es viel kühler als in der lichten Donauniederung. Während der kurzen Rast zog sie ihren und Niklas’ Umhang aus dem Reisebündel.
«Euch beiden ist es wohl schon länger nicht gut ergangen», sagte Edelman mit Blick auf die mehrfach geflickten Umhänge. «Aber das wird sich bald ändern, glaubt mir.»
Er deutete mit der ausgestreckten Hand auf den Einödhof.
«Dort werden wir unser erstes Nachtquartier finden. Der Bauer ist ein guter Kerl und splendid obendrein. Also freut euch schon mal auf ein üppiges Nachtmahl.»
Niklas’ Gesicht begann augenblicklich zu strahlen, und Eva versuchte sich mit ihm zu freuen. Obwohl ihr längst der Magen knurrte, gelang es ihr nicht so ganz, denn ihr wurde klar, dass sie in dieser einsamen, dunklen Bergwelt auf Gedeih und Verderbdem Wanderschneider ausgeliefert waren. Was, wenn er gar nicht der herzensgute Mann war, für den sie ihn hielt?
Als ihnen eine gute Stunde später auf dem Einödhof ein
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