Die Vagabundin
Niklas, wie sie die Bauern im Winter trugen. Lediglich an der Innenseite war sie gestopft.
«Die ist mir zu klein. Und das da» – er drückte Niklas eine halbe Hartwurst in die Hand – «hab ich aus der Vorratskammer. Meinem Oheim tut das gewiss nicht weh.»
«Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll», hatte Eva ihm zum Abschied gesagt.
«Ich schon. Mit einem Busserl mehr als beim letzten Mal.»
Da umarmte Eva ihn herzlich und drückte ihm rechts und links einen Kuss auf die Wange. Ohne sich noch einmal umzusehen, eilte sie zur Landstraße. Erst als die Häuser des Marktfleckens hinter einer Biegung verschwunden waren, hatte sie ihren Schritt verlangsamt. Niklas war kaum nachgekommen.
«Warum rennst du so? Jetzt hast gar nicht gesehen, wie der Alois uns nachgewunken hat.»
«Ist auch besser so. Lass uns noch ein Stück gehen, dann suchen wir uns ein schöne Stelle zum Rasten.»
So waren sie an diesen Weiher gelangt, der Eva einsam genug erschien, um beim Baden und Umkleiden nicht überrascht zu werden.
«Jetzt hab ich Hunger.» Niklas setzte sich ins Gras.
«Ich auch.»
Sie breitete Niklas’ altes Hemd, in das sie ihre Vorräte gewickelt hatte, vor sich auf dem Boden aus und zerteilte alles in mundgerechte Stücke.
Ihr Bruder zögerte. «Iss du zuerst. Du hast heut noch gar nichts gehabt.»
«Gestern und vorgestern auch nicht.» Sie lachte. «Jetzt schau nicht so erschrocken. Es wird schon reichen.»
Kein Krümchen war mehr übrig, als sie aufbrachen, und erneut überkam Eva diese Unruhe. Würden sie es schaffen bis Straubing? Und was erwartete sie dort? Wieder besaßen sie nur das, was sie auf der Haut trugen. Sie machte sich nichts vor: Niklas war noch längst nicht wieder bei vollen Kräften. Zwar würden sie heute Nacht, wenn alles gutging, auf dem Einödhof Herberge finden, den Alois ihnen genannt hatte. Aber dann?
Am nächsten Morgen verließen sie kurz nach Sonnenaufgang den Einödhof, nachdem ihnen die Magd noch einen Becher warme Milch gebracht hatte. Bei ihrer Ankunft dort hatten sie dem wortkargen Hausherrn die besten Grüße von Alois und dessen Oheim ausgerichtet, und das hatte wahrhaftig ausgereicht, um im Kuhstall übernachten zu dürfen.
Die Sonne wärmte bereits mit ihrer ganzen sommerlichen Kraft, als sie eine gute Stunde später, nach einem beängstigend einsamen Marsch durch einen Föhrenwald, endlich wieder auf die Landstraße nach Regensburg stießen. Dort rumpelte gerade ein Tross von fünf schwerbeladenen Gespannen vorbei,begleitet von einem guten Dutzend bewaffneter Reiter. Einige machten nach vorne zu den Weg frei, indem sie mit ihren Langwehren Fußgänger und Karrenbesitzer unbarmherzig in den Straßengraben drängten, während andere schützend die Wagen flankierten. Auch Niklas und Eva mussten warten, bis die Fuhrwerke mit ihrer kostbaren Fracht – und kostbar musste sie sein, sonst würde sich ein Kaufmann niemals einen solchen Schutztrupp leisten können – an ihnen vorbeigezogen waren. Eva erkannte sofort, dass dieser Kaufmannszug für sie beide ein Glücksfall war: Solchermaßen bewacht, war auch für ihre Sicherheit gesorgt. Sie mussten nur dicht dahinterbleiben.
Es war ein Leichtes, Schritt zu halten, denn die schwerfälligen Wagen kamen auf der holprigen Straße nur mühsam voran. Unangenehm war nur der Staub, den sie aufwirbelten, und bald schon begann Niklas wieder zu husten.
Irgendwann blieb er stehen.
«Ich – ich kann nicht mehr.» Er schnappte nach Luft. Vor lauter Husten war sein Gesicht rot angelaufen.
«Gut, halten wir Abstand.»
Doch von nun an mussten sie immer häufiger innehalten, bis schließlich der Tross in der Ferne verschwunden war. Es half nichts – Niklas brauchte eine längere Rast. Gottlob füllte sich die Straße zusehends, ein Zeichen dafür, dass sie der berühmten und freien Reichsstadt Regensburg näher kamen.
Sie setzten sich ans Ufer der Vils und kühlten ihre Beine. Eva hörte ihren Magen knurren – oder war es der ihres Bruders? Außer dem Becher Milch hatten sie heute noch nichts zu sich genommen. Wenn jetzt Niklas nur nicht zu jammern anfing, er habe Hunger!
«Ich hab Hunger!», hörte sie ihn im selben Augenblick sagen.
«Sackerment», entfuhr es ihr ärgerlich. «Siehst du hier irgendwodas Tor zum Schlaraffenland? Wo soll ich was zu essen herkriegen?»
Es war wie verhext: Hielten sie sich an eine belebte Straße, konnten sie nicht einfach Früchte von den Feldern und Gärten stehlen, wählten sie
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